Der Winter hielt sich noch in den Bergen fest. Weise Kuppen hüllen die Riesen in Decken vor dem grauen Himmel. Schwere Wolken verhinderten die Sicht auf den Horizont...und doch, hier im kleinen Tal irgendwo in Japan, versteckt zwischen den Riesen ist der Frühling eingezogen...oder hat er gar hier begonnen?
Die Sonne hatte es noch nicht geschafft die Luft zu erwärmen, aber Gräser und bunte Blumen eröffnen bereits ihre Farbenpracht. Die Kirschbäume hielten sich mit ihren Knospen noch zurück- zeigten nichts vom schönsten Rosa der Welt... was in diesem Dorf seine Heimat findet.
Etsuya liebte den Frühling. Er saß auf der kleinen Bank inmitten des Dorfplatzes. Für die wenigen Einwohner, war hier schon einiges los...doch Hektik vermisste man an diesem Ort. Jeder ging seinen Einkäufen und Geschäften nach. Jeder blieb höflich...lächelte und begrüßte den Frieden. Etsuya atmete durch...hielt die Augen geschlossen und zog sein weißblaues Tuch enger um die schmalen Schultern. Es war leicht durchscheinend und ließ den hübschen, weißen Yutaka darunter vermuten, der ebenso hellblaue, bis graue Muster trug. Abgerundet wurde das Bild eines Japaners aus vergangenen Zeiten durch die typischen Holzschuh und dem zusammengebundenen Haarknäul am Hinterkopf, aus dem die leichtesten Strähnen entschwunden waren und über die Schulter flossen- wie schwarze Seide. Etsuya wartete auf Kaneda, der seit letzten Herbst bei ihm wohnte. Er war ein umherreisender Ronin gewesen... etwas von dem Etsuya immer nur in seinen Büchern geschrieben hatte. Er war Autor für romantische Zeitgeschichte- und hatte von Menschen wie Kaneda immer geträumt. Ehre...Moral und verwurzeltes, tiefes Gefühl für Natur und die Menschen. All dass hatte in der Welt so keinen Platz mehr..dass war ihm selbst an diesem Fleckchen Himmel bewusst. Aber hier konnte sich der Zauber noch halten- und fand Bestand in der Ankunft des Ronin, der in ihm seinen Meister fand und dadurch zum Samurai wurde. Etsuyas Herz wurde wehmütig...dachte er zurück wie sie sich kennengelernt haben. Seine schwermütigen Gefühle waren seitdem immer mehr in den Hintergrund geraten, und er konnte so oft sagen, dass er sogar richtig glücklich war. Geschenke die der junge, hübsche Mann mit dem schwindenen Augenlicht - nie mehr in seinem Leben erwartet hatte. Ob er sich operieren lassen würde, wusste er noch immer nicht. Wenn das Eis von den Bergen schmolz hatte er vor gehabt sich mit Kaneda in der Stadt nach Fachärzten zu erkundigen...doch angst hielt ihn im bangen. Was würde geschehen wenn er gar nichts mehr sehen würde.Etsuya ertastete bereits jetzt größtenteils nur den Anblick seines Geliebten...doch seine Augen, seine Augen konnte er nur sehen- nicht ergründen, erfühlen. Dafür brauchte er seine Augen...und das war ihm kostbar.
Neben ihm stand ein Körbchen das mit Köstlichkeiten gefüllt war. Er hatte Kaneda nur noch einmal in den Laden geschickt um einen Sake und ein wenig Obst zu besorgen. Das hatte er sich zu Ergänzung ihres Pickniks gewünscht, was sie auf dem Feld einnehmen wollten. Etsuya hatte vor, Kaneda seinen geheimen, liebsten Platz zu zeigen. Von Dort aus, konnte man über die Felder sehen, und an einem schönen Kirschbaum ruhen...umsäumt von Hecken und weiteren Bäumen- welche die Stille mit ihrem rauschen füllten. Auf seinem Schoß hielt er sein Instrument, auf dem er vor gehabt hatte für Kaneda an diesem Ort zu spielen. Es war eine kleine Koto, die gerade so über seine Beine reichte und leicht zu tragen war. Geschützt wurde sie durch ein Tuch in dass Etyusa sie sorgsam gewickelt hatte- und wurde dadurch zum Interesse für ein paar Kinder die hier auf dem Platz spielten. Ein kleiner Junge mit abstehenden Haaren blinzelte neugierig. Zwischen seinen mandelfömrigen Augen klebte ein Pflaster und von seiner Wange wischte er sich ein wenig Schmutz. "He Etsuya was ist das?" Sprach er den Autor mit Namen an. Hier kannte ihn wirklich jeder. "Ah.. Taro." Lächelte Etsuya beim klang der aufgeweckten Stimme und sah auf. Weitere Kinder waren ihrem mutigen Anführer gefolgt und beobachteten das Gespräch. "Das ist mein großer Schatz..." Eröffnete Etsuya mit seinem warmen Lächeln und den niedergeschlagenen Augen, aus denen nur ein schmaler, grauer Streifen noch kenntlich blieb. "Ohhh Ein Schatz!" staunten sie nicht schlecht und kamen näher. Sie setzten sich auf die Bank neben dem jungen Mann und sahen zu, wie dieser das Stoffbündel löste und den Saumen zur Seite aufschlug. "Ohhh eine Koto! Das kenne ich schon!" winkte Taro ab, und brachte Etsuya zum schmunzeln. "An was hast du denn gedacht?" wollte er wissen und schüttelte den Kopf. "Naaa , eine Gitarre zum Beispiel wäre cool." War Taros Aussage und brachte Etsuya zum Kopfschütteln. Ein kleines Schauben folgte ebenfalls. "Taro.. Fortschritt ist nicht gleich Weißheit...und die wiederum kann man nicht begreifen, nur anwenden.." murmelte Etsuya und zog an den Seiten des Instruments um ihm ein paar schöne Klänge zu entlocken. " Taro erinnerst du dich nicht an unsere Abende am Feuer? Könnte eine Gitarre...ein solches Gefühl auslösen? Gut.. vielleicht an anderen Orten wie diesen..doch unsere Tradition ist für uns kostbar...und kann nur von uns empfunden werden." sprach er dem Jungen zu, der die Stirn runzelte. Noch verstand er nicht was Etsuya meinte..aber irgendwann würde er es begreifen. So lauschte er lieber mit den anderen den sanften Klängen, bis ein leises Glöckchen verkündete dass jemand aus dem Laden getreten war.
Es war Kaneda gewesen, zu dem die Kinder strahlend aufsahen seitdem sie ihm begegnet waren. "Kaneda Kaneda!" riefen sie daher nur und sprangen auf, um den Samurai zu empfangen. Wie kleine Bienen surrten sie um ihn herum- lachten und flohen dann in alle Richtungen. Etsuya selbst musste ihm ein Lächeln schenken, bis die Konturen vor seinen Augen mehr Gestalt annahmen und den Schatten seines geliebten Kanedas auf ihn geworfen wurden. "Da bist du...die Kinder lieben dich." Grüßte er seinen Samurai. "Aber nicht so sehr, wie ich dich liebe.." fügte er noch mit weicher Stimme an und schlug sein Instrument wieder ein. "Hast du alles bekommen?" fragte er weiterhin und stand auf, um auch den Henkel des Korbes über sein Ellenbogengelenk zu streifen. "Dann können wir los..ich möchte dir etwas schönes zeigen Kaneda.." sprach er milde und schob sein schmales, freies Handgelenk anschließend in Kanedas Armbeuge. Den Weg konnte er ihn führen- er war ihn früher so oft gegangen, dass er ihn sogar blind finden würde..
Der Wind ändert seine Farbe im Laufe der Jahreszeiten Denn ich habe etwas aus den Augen verloren