Wieder war ein Tag geschafft. Ideo hatte gerade die Straße überquert und konnte nun einen Blick auf den Ursprung des langen Schattens werfen, der sich über ihn gelegt hatte. Es war der Schatten des Sumitomo Building- wo er ein neues Büro bezogen hatte. Da sowohl Siren als auch Janus damit zufrieden gewesen waren, hatte er mit seiner Firma sogleich eine ganze Etage bezogen. Sein neues Büro war etwas kleiner..und nicht vollkommen verglast, wie sein erstes- doch das schlechte Gefühl war verschwunden, das einem vermittelte, man würde von jeder Ecke beäugt werden. Ideo fühlte sich hier wohl. Die Räumlichkeiten erfüllten ihren Zweck.
Weiter wollte er sich mit diesen Gedanken aber nicht aufhalten. Er hatte sich an diesem Abend mit Janus und Jun verabredet. Er hatte versprochen bei den Hausaufgaben des Jungen zu helfen, damit sie dann gemeinsam eines seiner neuen Spiele testen konnten...und das Wochenende war für Siren reserviert gewesen. Denn, auch wenn seine Freundin ebenfalls berufstätig und freiheitsliebend war, fand sich doch immer gemeinsame Zeit, in der sie ihre Liebe teilen konnten. Ideos hartes Gesicht lichtete sich bei diesem Gedanken sogar zu einem Lächeln. Etwas, das in den letzten Wochen selten geworden war. Das lag nicht zuletzt an seinem Streit mit Chiyonosuke. Es tat immer noch weh, ihn aus den Augen zu verlieren, auch wenn er den Schmerz langsam müde wurde. Das half nichts gegen den gefühlten Verlust..
I plunged into misery I'll turn off the light And murder the dawn Turn off the light And murder the dawn
"Was ist denn das für ein Gesicht?" Eine freundliche Stimme drang an Ideos Ohr- doch der Art nach zu urteilen, wie sich sein Blick schärfte- freute er sich nicht darüber, diese Stimme zu kennen.
Die Menge an Berufstätigen teilte sich auf dem Fußgängerweg und legte den Blick auf einen Mann frei, der in etwa so groß gewesen war, wie Ideo selbst. Er war jedoch sehr auffällig gekleidet. Der Mann trug einen westlichen, vollkommen weißen Anzug und auffällig weiße Handschuhe. Seine Haare waren ebenso schneeweiß gewesen, wie die von Jun- nur viel, viel länger.. "Moros.." nannte Ideo das bekannte Gesicht beim Namen- und sein Ton wurde noch eine Spur dunkler. Das Gesicht des anderen erhellte sich dabei wie auf Befehl. "Ach, gut zu wissen dass du mich noch nicht vergessen hast." fügte der Dämon hinzu und schritt an Ideos Seite.
"Ich habe keine Zeit."knurrte der Dunkelhaarige wie einen Hund an der Kette, dem sich ein Fremder näherte. "Du wirst Zeit haben. Für...einen Tee." Moros ließ sich nicht beirren, und das breite Lächeln verließ keine Sekunde sein Gesicht. Ideo seufzte innerlich, ohne dass seine Schultern einsanken. Er blickte zur anderen Straßenseite, wo sich ein beliebtes Teehaus befand. Es war gut besucht- und die traditionellen breiten Tische erlaubten es ihm , soweit weg von dem Dämon sitzen zu können, wie es nur möglich war. "Also gut. Gehen wir in das Sakura Imen." Er wieß mit der Hand, in welcher er seine hochwertige Aktentasche trug, auf die andere Straßenseite. Der Vorschlag schien Moron zu gefallen. "Akzeptiert." Beließ er es bei einem knappen Kommentar, und ließ sich dann von Ideo in das Teehaus führen. Sie bekamen sogleich einen Tisch am Fenster zugeteilt. Es war ein heller Platz an einem gemütlichen, dunklen Kirschholztisch. Sie setzten sich auf zwei gegenüberliegende Bodenkissen- wobei sich Moros mit geschlossenen Knien auf den Boden sinken ließ. "Wirst du diese Form nicht langsam satt?" Fragte Ideo ihn, nachdem er die Bedienung mit der aufgegebenen Bestellung davon geschickt hatte. Moros verneinte mit einem Kopfschütteln. "Oh, keines Wegs. Menschen sind wirklich dumme kleine Wesen. Indem ich mich unter sie mische, kann ich direkt in ihre Seelen blicken." Moros seufzte, und zupfte seine Handschuhe von den Fingerspitzen. Er wollte eine mir Sesam und Honig überzogene Erdnuss nehmen, die bereits auf dem Tisch in einer kleinen Holzschale standen. "Ich kann im übrigen auch in deine Blicken. Auch...wenn du kein ganzer Mensch bist." sinnierte er und ließ die Erdnuss in seinem Mund verschwinden. Ideo ließ sich davon nicht beeindrucken. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt- und hielt den Rücken gerade. "Und du hast mich aufgesucht, um mir das zu sagen?" fragte Ideo gelangweilt, aber mit hochgezogener Augenbraue. Dann mussten sie jedoch innehalten, weil das Mädchen in hübscher, traditioneller Uniform den Grüntee brachte. Erst, als sie sich mit einer Verbeugung verabschiedet hatte, ergriff Moros das Wort.
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"Du bist sehr aufmüpfig für einen kleinen Frosch." Moros Mund war zu einer schmalen , geraden Linie verzogen.
"Ein Frosch?" Ideos Augenbrauen zogen sich für einen Moment skeptisch zusammen, was Moros nicht mitbekam. Er schlürfte an seinem Tee. Als er ihn abstellte, und die zuvor geschlossenen Augen wieder öffnete, neigte er den Kopf. "Ja. du bist wie der Frosch aus der Geschichte, die mir ein Schuljunge erzählt hat. Der Frosch sitzt in einem Topf voll kaltem Wasser auf einem Herd..dessen Temperatur man langsam immer weiter hochstellt. Er bemerkt gar nicht, dass er gekocht wird- bis er plötzlich Tod ist." Moros zuckt mit den Schultern- aber sein Blick lauerte auf Ideo. "Ach, ich verstehe woher der Wind weht..du bist beleidigt weil ich noch nicht gestorben bin, obwohl du es vorausgesagt hast." schloss Ideo daraus- und Moros schien mit der Antwort nicht zufrieden zu sein. Er schloss wieder die Augen und trank von seinem Tee. "Du bist ganz schön frech dafür, dass du nur Glück hattest."
"Du hattest bisher nur Glück, weil du nicht an Siren oder Janus geraten bist. Die hätten dich in deine Bestandteile zerlegt." entgegnete Ideo Kühl und trank auch von seinem Tee. Moros nickte mit einem kühlen lächeln. "Du hast wohl recht. Aber nur vielleicht. Und du wirst dich nicht ewig verstecken können. Irgendwann bist du dran..und dann bin ich wieder mit meinem Bruder vereint." Moros seufzte. "Wir Keres -Geschwister stehen uns alle sehr nah, weist du?"
Ideo lächelte ebenfalls, und nahm einen weiteren Schluck. "Du solltest weiter die Wunden deines verletzten Stolzes lecken, denn ich werde nicht sterben."
"Ich kann zwar deinen Tod nicht herbeiführen..aber ich wollte dich wissen lassen, dass du weder mir, noch Baphomet entkommen bist. "Moros tupfte sich den Mund mit einer Serviette ab, und schob seine Teetasse von sich. Sie war bis auf ein paar Blättchen ganz leer. "Du magst vielleicht wiedergeboren sein, aber ich wusste von Anfang an, dass man den Verräter nicht aus deinen Knochen bekommt. " Seufzend erhob sich Moros mit einer geschmeidigen Bewegung. "Die Rechnung geht natürlich auf mich." erwiederte Ideo nur mit einem Lächeln. Moros verbeugte sich nicht- und würdigte den Abschied auch sonst mit keinem weiteren Wort. Ideo wartete noch, bis er das Teehaus verlassen hatte, ehe er um die Rechnung bat. Er versuchte noch seine Gedanken zu ordnen, und verharrte mit verschränkten Händen am Tisch...
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