Der Herbst war mit langsamem, aber stetigem Schritt eingezogen. Schon jetzt konnte man beobachten, wie die Tage spürbar kürzer wurden. Jeden Tag ging die Sonne ein paar Minuten später auf, dafür ein paar Minuten früher wieder unter. Auch wenn die Tage noch immer warm und oft sonnig waren, wurden die Nächte schon empfindlich kühl. Des Morgens lag oft schon eine dünne Schicht Reif auf den Wiesen. Der junge Mann, der seine Haare mit einem roten Band zu einem hohen Zopf gebunden hatte, trug einen gefütterten Reisemantel und ein paar weicher, warmer Stiefel. Sein Blick war zum Himmel gerichtet, wo er den Zug der Vögel beobachtete. Er wurde dabei nicht müde, die perfekte Formation zu beobachten, in der sich der Schwarm fortbewegte. Völlig unbemerkt von ihm stahl sich ein Lächeln in die so ernsten Züge und kräuselte die dünnen, aber wohlgeformten Lippen. Erst als der Schwarm langsam außer Sichtweite geriet und nur noch ein paar schwarzer Pünktchen am Himmel zu sehen waren, erhob er sich mit einer federnden Bewegung aus dem Gras und gab somit den Baum als Rückenlehne auf, an den er sich gelehnt hatte. Seine Bewegungen waren schwungvoll und gleichzeitig elegant, die Schritte mit denen er sich von der Wiese auf den leicht erhöhten Schotterpfad schwang beschwingt, selbst wenn er ohne Ziel voran schritt. Die Rechte hatte er wie zum Schutz gegen die Kälte unter seinen Mantel geschoben, während die linke Hand locker an seiner Seite verblieb und nur gelegentlich im Takt seiner Schritte schwang. Er schien keine Eile zu haben, wie er über die Felder und Wälder blickte.. die Schönheit der Natur wusste sein Herz zu berühren.
Längst hatte er den Lärm und das Gedränge der Stadt hinter sich gelassen. Hier war die Luft frischer, er konnte den Geräuschen der Natur lauschen wie in den wenigen glücklichen Augenblicken seiner Kindheit.. Er atmete tief den Duft von Gras und Blumen ein, während er in der Entfernung erste kleine Häuschen ausmachen konnte. Er hatte damit gerechnet, da sich überall Felder befanden die Bewirtschaftet wurden. Hier lag auch sein Ziel, jetzt wo die Erntezeit begann. Auch wenn er ein Schwertmeister war, in dem es in diesem Zeitalter keinen Platz mehr gab, fand er sich doch zurecht. Es war eine immerwiederkehrende Routine, die ihn Jahr für Jahr dazu brachte sich zur Erntezeit als Knecht zu verdingen.. eine ehrbare und ehrliche Arbeit. Er konnte schon vereinzelt Bauern beobachten, die damit beschäftigt waren die frühen Stunden zu nutzen um die Früchte ihrer Arbeit einzubringen. Kaneda war sich ganz sicher, dass er in diesem idyllischen, abgelegenen Örtchen eine Arbeit finden würde, und sei es auch nur für wenige Wochen. Kost und Logis, ein kleines Taschengeld dazu und die Welt war für diesen beschränkten Zeitrahmen in Ordnung. Den Winter über würde er dann zurück in irgend eine der Städte kehren, wo ihn Freunde erwarteten... Doch bis es so weit war wollte er noch die Zeit so verbringen, wie er glaubte dass auch seine Vorfahren einst gelebt hatten; von den Früchten ihrer Arbeit, nahe der Natur und fernab vom Trubel der Zivlisation. Kaneda hatte große Hoffnungen in dieses Dorf, das nun nur noch einen Steinwurf entfernt war.
Die schöne Seite des Herbstes hatte einzug gehalten. Hier am kleinen Waldstück das von einem flachen Hügel vom Dörfchen getrennt wurde- war Gras und Astlaub in Gold getaucht. Die Fasern verliefen wie dünne Äderchen durch das Blatt, das dabei war von der Krone des alten Baumes zu fallen. Der Wind trug es sacht auf die Oberfläche des See's der sich zum Fuß des Baumes befand und brachte Erschütterung in das Gesicht dass sich in der zuvor glatten Oberfläche gespiegelt hatte. Im selben Moment sollte sich auch die Stirn der Person, zu der das Gesicht gehörte selbst umwölgen. Die spitze und blasse Nase ragte über die Sitzfläche die der dünn mit Moss bewachsene Stein bot, während die schmalen Finger zusätzlich an der scharfkantigen Spitze halt suchten. Das Haar trug der junge Mann locker zusammengebunden, so dass der Großteil der seidigen Haare über seine Schulter fiel und dabei auch in sein Gesicht. Vielleicht sah er deswegen so schlecht? Den Eindruck hatte man fast, so suchend er seine Blicke gen Wasser gerichtet hielt- dass bereits die ersten Haarspitzen in die Oberfläche eintauchten. Das Wasser strahlte dabei schon die Kälte aus die der fehlende Wind und die Herbstsonne vermissen ließen. Die Augen des jungen Mannes konnten das glitzern auf der Wasseroberfläche jedoch wirklich kaum erkennen. Seine Augen waren von einer grauen Trübung umfangen - die ihn seine Umwelt ebenso trüb wahrnehmen ließen.
Etsuya war sein Name gewesen, und er lebte schon lang an diesem Ort.. und solang er schon hier lebte suchte er auch die Ruhe deses nicht so oft besuchten Sees. Die meisten Bewohner suchten ihr Wasser im fließenden Bach auf der anderen Seite des Dorfes, da er Talwerts verlief und daher auch das Dorf mit laufendem frischen Wasser versorgte. Hier war es stiller - und dennoch schön. Man konnte nicht mehr auf den Grund des Sees blicken - da er sehr tief war. Kindern war es deswegen auch meistens verboten in dem See zu baden weil sie ertrinken konnten.. Etsuya wusste die Gesellschaft des einsamen Gewässers jedoch zuschätzen. Er glaubte hier nun endlich die vollkommene Ruhe zu finden..weit weg der Schmerzen die ihm das Leben durch den empfundenen Kummer bereitete. Hier gab es nichts mehr was ihn hielt. Was waren schon Menschen, die ihn nicht verstanden? Was war die Schönheit von Bäumen, Natur und geschäftigen treiben wenn man es nicht sehen konnte? Und was machte das Leben noch an Sinn wenn die einzige innere Quelle verebt war, die Inspiration? Für Etsuya war dies ein eindeutiges Zeichen dafür, wieder mit dem Ursprung zu verschmelzen..und sein Ursprung sah er wie dem allem Leben im Wasser. Hier würde er neue Kraft schöpfen können wenn sich die Existenz seines belastenden Körpers auflöste. Es war nicht so dass er sich aus dem Affekt daraus entschieden hatte seinem Leben ein Ende zu bereiten. Er hatte sich oft mit dem Gedanken getragen - bis ihm letzte Nacht ein Traum wiederfahren war aus dem er das Glück las- im See zu ertrinken. Es würde ihm das Ende seiner Schmerzen bringen- und dafür brauchte er auch kein warmes Gewand. Er trug einen dünnes, grauweißes Gewand dass hier den Traditionen entsprach - sowie eine klein Tuch dass er zuvor um die Schultern getragen hatte- und nun neben sich abgelegt hatte. Früher oder später würde es der Wind davon tragen.. und so gab es nicht mehr viel, von dem er sich verabschieden musste. Nur von den Vögeln die er vereinzelt zwitschern hörte..vom lauen Wind..von der Sonne und dem rauschen der verbliebenen Blätter. Dann konnte er seine Hand auch schon ins Wasser gleiten lassen..seine Beine folgen lassen - bis er lautlos im Wasser verschwunden war. Dabei schwoll keine Angst mehr in seiner Brust an.. es war nur Trauer und Hoffnung die sein Gesicht zeichneten.. die Lidfältchen zwangen seine Augen dazu sich zu schließen- während auch seine blauen Lippen nicht mehr versuchten nach Atem zu haschen.
Der Wind ändert seine Farbe im Laufe der Jahreszeiten Denn ich habe etwas aus den Augen verloren
Es war wie so oft erstaunlich leicht gewesen, eine Arbeit zu finden. Nachdem er sich kurz vorgestellt und unter Beweis gestellt hatte, wirklich anpacken zu können, hatte er sowohl eine Anstellung als auch eine Unterkunft zugewiesen bekommen, wo er seine wenigen Habseligkeiten unterbringen konnte. Ab dem morgigen Tag dann würde seine Dienstzeit beginnen und bis zum Ende der Ernte anhalten... Mit Abschluss der Ernte bekam er dann auch seinen Lohn ausgezahlt. Den Vertrag hatten sie wie unter Männern üblich mit einem Handschlag besiegelt. Hier zählte noch das Wort eines Mannes, wie Kaneda mit einem Seufzen dachte, während er seine letzte Freizeit dazu benutzte, um einen kleinen Rundgang durch das Dorf zu unternehmen. Allerdings war dieser schnell beendet.. Es gab nur wenige Häuser, so dass Kaneda sich rasch wieder in der Natur befand, einem kleinen Stück Wald in dem es schon verdächtig kühl war, da hier die Sonne nur wenig durch das Blätterdach brechen konnte. Dennoch folgte er dem kleinen Trampelpfad; im leicht feuchten Erdreich konnte er frische Spuren lesen, die ein leichtes Paar Füße verursacht hatte. Es war kein höherer Instinkt der ihn leitete, es war vielleicht nichts weiter als die Neugier, sein neues zu Hause einmal zu erkunden...
Jedenfalls sollte ihn der Pfad zu einem See führen. Der Anblick barg keine Überraschung für Kaneda, als er sich aus dem Blätterreich löste, denn den Geruch des Wassers hatte er bereits vorher wahrgenommen. Was seine Augen in milder Überraschung sich weiten ließ war der Anblick von etwas hellem im Wasser... Wie Stoff, oder wogendem Haar, das an weißen Seetang erinnerte. Dort trieb ganz eindeutig eine menschliche Gestalt im Wasser. Es kostete den Samurai nur Bruchstücke von einer Sekunde, seine Überraschung zu überwinden. Er war schon drei Schritte gerannt, als sein Mantel zu Boden fiel, zwei weitere Herzschläge später war er mit einem Hechtsprung im Wasser. Die plötzliche Kälte schloß sich wie eine Faust um seine Brust und trieb den Atem aus seinen Lungen, während sein Herz einen Moment stockte und dann nach einem krampfhaften Schmerz wieder in der Brust zu schlagen begann. Unbeeindruckt dessen machte der Samurai einige kräftige Schwimmbewegungen die ihn zu der langsam mit dem Gesicht nach unten treibenden Gestalt brachten. Es war nicht das erste Mal, dass er jemanden aus dem Wasser zog, so dass er keine Zeit damit verlor, ihn umzudrehen und das Gesicht des Mannes über Wasser zu halten, während er spritzend zurück ans Ufer schwamm. Sobald er wieder genügend Boden unter den Füßen hatte, griff er unter die Achseln des Mannes und zog ihn an Land, wo er ihn bettete und sich über ihn beugte. Die Lippen waren bereits blau angelaufen, ob vor Kälte oder vom Sauerstoffmangel konnte der Samurai nicht feststellen. Er beugte sich über ihn, ohne Lebenszeichen zu vernehmen. Ein rascher Blick zeigte, dass niemand in ihrer Nähe war.. sie waren hier ganz allein, seine Hilferufe verhallten wohl ungehört.. nur das Echo antwortet ihm schwach. Ohne weitere Zeit zu verschwenden, legte er die Hände übereinander und begann mit einer Herzdruck-Massage, wobei er in Gedanken zählte. Schließlich unterbrach er die Herzmassage, um die Nase des Jungen - es war nicht einmal ein richtiger Mann, bemerkte er, kaum mehr als ein Junge! - zuzuhalten und sich über dessen Lippen zu beugen und lebensspendenden Atem in die Lungen zu blasen; nur um sich dann wieder dem Herzen zuzuwenden. "Atme!" schrie er ihm dabei ins Gesicht, den Befehlston anwendend, der schon viele dazu gebracht hatte, seinen Anweisungen zu folgen. Dann neigte er sich schon wieder über die eiskalten Lippen um sie mit seinen eigenen, kaum wärmeren zu bedecken und weiteren Atem in seine Lungen zu zwingen. Die Sonne malte Licht und Schattenspiele auf ihre durchnässten Körper, ohne etwas zu erwärmen. Kaneda wusste nicht, wie lange der Junge schon im Wasser gelegen hatte, und ob seine Bemühungen überhaupt Erfolg haben konnten.. und doch war er nicht gewillt, so einfach aufzugeben. "Du wirst leben.." ließ er ihn wissen, sorgenvoll im gleichen Atemzug dass er ihm nicht eine Rippe brach durch die Herzmassage. "Komm endlich zu dir!" wies er ihn an und senkte ein drittes Mal die Lippen auf die des Jungen in der Hoffnung, ihn endlich wieder zurück ins Leben zu holen. Nichts wollte er mehr, als dass dieser das kalte Wasser erbrach, das Lungen und Magen füllen musste...
Wie lang er unter Wasser gewesen war konnte Etsuya nicht bestimmen. Irgendwann hatten sich seine Körperfunktionen verlangsamt. Sein Atem wurde schwerer - und sein Herz schlug langsamer um die verbliebene Wärme im Körper zu halten. Warum nur sträubte sich der Körper so dem Willen des Herzens nachzugeben? Er wollte doch nicht mehr leben..und sah nur ein Ende des Leidens vor sich- bevor auch schon ein Strom an Wasser ihn unsanft streifen sollte..die Kälte dem Körper somit wieder näher bringend. Aber all das sollte in den Hintergrund rücken, denn bevor er sich hätte nach dem Luftzug umsehen können waren die Augen schon nicht mehr gewillt gewesen sich zu öffnen. Er war Ohnmächtig geworden.
Dagegen half auch nicht der ablassende Druck als sie zusammen aus dem Wasser wieder aufgetaucht waren und seiner Lunge damit erlaubt hätte wieder zu atmen. Er bekam auch nicht mit wie man ihn aus dem Wasser zog...sein Unterbewustsein hing nur noch ganz schwach einem Traum nach der ihn auf Federn bettete. Da gab es keine Kälte..und nichts anderes als warmes Licht das ihn einhüllte. Nur unsanft sollte immer wieder etwas an ihm ziehen..ihn in Bewegung versetzen die ihn angst bekommen ließen aus diesem Traum zu erwachen. Er wollte sich nicht aus der Vorstellung lösen und versuchte krampfhaft daran festzuhalten sich nicht von diesem Ort zu trennen.. fast als würde er wissen noch nicht gestorben zusein. Die vielen Versuche sein Herz zum schlagen zu bringen sollten daran beteiligt sein.. noch mehr jedoch der erschütternde Ton einer männlichen Stimme die durch Mark und Bein hallte und ihr Echo immer wieder an ihn weiter trug. So sollte sein Herz auch angsterfüllt und aufgeregt nur sich der Hand entgegen drängen, die sich ihm entgegen drückte. Etsuya konnte sich in dem Griff in dem er sich befand nur winden- da Kälte..Luft und Angst sein Herz bis zum Hals schlagen ließen. Das Wasser dass ihm beinah den Rest gegeben hätte bahnte sich seinen Weg und er musste den Kopf zur Seite herum reißen um es den Lippen zu entlassen, die bei jedem Husten dass ihn zum Leben zwang erzitterten. Sie waren immer noch blau..doch er spürte das brennen auf der weichen Haut die sich über die Lippenbögen spannte- und unverkennlich von einem wärmenden anderen Körper stammen musste. Der sehnige Leib des jungen Mannes sank dem leben immer mehr entgegen, indem er seinen Körper versuchte ebenfalls seitlich zu drehen und schmerzlich Wasser gegen lebensspendenen Atem zu tauschen. Er war der Sprache nicht Herr gewesen.. sein Haar klebte entlang der feinen Gesichtszüge direkt an seinen Wangen, während vereinzelte Tröpfchen Wasser von seiner Nasenspitze perlten und durch die weißen Stellen seines Gewandes bereits die durchscheinende Haut zu erkennen war, unter der die Äderchen dunkler bedingt der Kälte hervor traten. Etsuya begriff dabei nur langsam dass er wirklich noch am Leben war..das er genau noch an dem Ort war, andem er in das Wasser gestiegen war. Wer hatte nur..? Sein Blick riss sich suchend wieder dem Himmel entgegen- andem, jedoch für ihn keine Sonne zu erkennen war, sondern ein ihm völlig unbekanntes Gesicht. Seine Wimpern die ebenfalls durchnässt waren, machten es ihm zwar genauso schwer den Blick auf den fremden Mann gerichtet zu halten, wie die Kälte die seinen Körper befiel - jedoch konnte er dem Drang auch nicht nachgeben sie wieder zu schließen. Er konnte den Mann nichteinmal richtig erkennen.. nur wage Umrisse die erzitterten weil das brennen vor Kälte nicht nur seinen Körper lähmte sondern auch sein Gesicht leidvoll verzog. Beinah entschuldigend .. und viel mehr traurig sollten die Brauen sich nur an der Mitte der Stirn treffen, bevor er leise , überaus leise die Stimme erhob. " Du hättest sterben können.." sollte mit nebligen Hauch begleitet sein. Unbemerkt hatten sich seine Finger schon im Ärmel des Retters vergriffen- da Etsyua begriff dass er nur für ihn ins Wasser gestiegen war..nur um ihn zu retten, wo er doch den Tod selbst gesucht hatte. Sein Herz - insofern er es noch unter all den körperlichen Schmerzen spüren konnte, war ihm bis in den Magen gerutscht..dabei konnte er nichteinmal genau sagen wovor er sich jetzt so fürchtete- oder was er genau fürchtete. Er konnte nur letztlich dem Drang wieder nachgeben die Augen zusammenzukneifen und zu husten..
Der Wind ändert seine Farbe im Laufe der Jahreszeiten Denn ich habe etwas aus den Augen verloren
Sobald wie durch ein Wunder endlich die ersten, so sehr ersehnten Zeichen des Lebens zu erkennen waren, reagierte Kaneda wie immer schnell und fasste nach der Schulter des Jungen, um ihn zur Seite zu drehen, damit das ausgehustete Wasser nicht wieder zurückfloß. Er spürte seinen eigenen Herzschlag ganz schnell in seiner Brust schlagen. "Gott sei Dank..." murmelte er und gab dem Jungen genug Zeit, noch mehr von dem Wasser aufzuhusten bevor er den dünnen, beinahe wie ausgehöhlten Körper vom Boden hob. Er war eiskalt.. und wenn er nicht beinahe ertrunken wäre, so fürchtete Kaneda dass er nun einfach erfrieren oder an einem Kreislaufversagen sterben konnte. So oder so, er sah für ihn gar nicht gut aus. Er schlang den Arm um den viel zu schmalen Rücken und hob ihn an, so dass er ihn an seine Brust ziehen konnte. Das war gut.. aber nicht gut genug, bemerkte Kaneda. Er war selbst eiskalt, auch wenn er keine Sorgen hatte, dass ihm der Sprung ins Wasser irgendwelche körperlichen Schäden einbringen würde..
"So schnell sterbe ich nicht..." flüsterte er dem viel zu klein wirkenden Bündel Mensch zu, wobei sich seine eigenen Brauen wölbten. Er hatte nicht mit solchen Worten gerechnet, wo dem Jungen das Sprechen bestimmt Schmerzen und große Mühen bereitete. Er bettete ihn ganz vorsichtig noch einmal auf der Erde, denn zumindest sein warmer Mantel war trocken geblieben, wenn auch alles andere an ihm nun vor Nässe tropfte. "Ich muss dein Gewand ausziehen.. du holst dir sonst den Tod." flüsterte er ihm leise zu. Sollte der Junge überhaupt noch Kraft besitzen sich dagegen zu wehren, so dachte Kaneda nicht daran, die Einwände zu beachten. Der nasse Stoff musste weg - und stattdessen wollte er ihn in den wärmenden, trockenen Mantel hüllen der greifbar nahe lag. Erst, als er ihn so eingewickelt hatte, schaute er ihm noch einmal genauer ins Gesicht.. er hatte bisher nicht richtig die Gelegenheit dazu gehabt. Er versank einen Moment lang in das leidende, aber gleichzeitig bildschöne Gesicht. 'Wie gemalt..' war sein einziger Gedanke dazu, der ihm spontan einfiel. "Niemand hat wohl mein Rufen gehört.. ich bringe dich jetzt zurück ins Dorf, da muss es einen Arzt geben, der nach dir schauen kann." richtete er wieder das Wort an ihn und hob das Federgewicht dann in seine Arme, beinahe so als würde der Junge überhaupt nichts wiegen. Das Köpfchen hatte er dabei an seine Brust gebettet, den einen Arm um den Rücken und den anderen um die Kniekehlen geschlungen. Er hoffte, ihm so möglichst wenige Erschütterungen zuzumuten, während er den Weg ins Dorf einschlug. Der Rückweg kam ihm dabei länger vor, als der Hinweg.. obwohl er dieses mal eindeutig schneller lief. "Halt nur noch ein bisschen durch.. gleich ist es geschafft.." redete er dabei mit seiner ruhigen Stimme weiter auf ihn ein.
Etsuya wusste garnicht wie ihm geschah. Zwar konnte er realisieren dass ihm ein Mann das Leben gerettet hatte, was er nicht gerettet haben wollte..doch dass er sich so für ihn einsetze und dass er dafür sein eigenes Leben riskiert hatte wollte noch nicht richtig ankommen. Sein Kopf schmerzte aber auch so sehr dass ihm jegliche Gedankengänge untersagt blieben. Emotional konnte er weitaus mehr aufnehmen..selbst wenn es im ersten Moment danach garnicht aussah. Er konnte die Augenbrauen nur noch weiter zusammenziehen als der Fremde meinte nicht so schnell zu sterben.. fast so als würde er nicht verstehen was er sagte- als wäre ihm mit dem Fremden auch noch eine fremde Sprache begegnet. Seine Lippen wollten jedoch nicht mehr reagieren, selbst wenn sie lieber in Kontakt mit dem Fremden geblieben wären um einzuschätzen was ihn als nächstes erwartet. Dass er ihn wirklich an seine Brust gezogen hatte würde ihm erst viel später bewusst werden.. jetzt sah er sich zunächst protestlos dem entwenden seiner nassen Kleidung gegenüber gestellt. Seine Haut schmerzte fürchterlich.. und so weich der Mantel der um ihn gewickelt wurde auch war, rieb er über die geröteten Stellen die sonst schneeweis waren und ebenso samtig. Er konnte nur immer wieder schmerzlichst aufatmen und ein leises ächzen vonsich geben, wobei seine Finger sich schmerzlichst bogen und in den weichen Stoff gruben. Sein Herz pochte dabei ununterbrochen um ihn nicht sterben zulassen - und das nicht weil er nun angst hatte und doch nicht mehr sterben wollte..sondern weil ihn die Anwesenheit des Fremden so stark irritierte. Er handelte so.. selbstlos, so kühn..obwohl er selbst von Kopf bis Fuß durchnässt war und die Kälte auch an seinen Knochen nagen musste.
Etsuyas Augen flackerten dabei immer wieder kämpferisch auf- selbst wenn er bis zur Nase schon im Mantel verschwunden war. Sein herz verkrampfte sich erneut schmerzlich, wobei das aufstöhnen dass seine schweren Lungen nur bedingt entließen den schmerz auch nicht kaschieren konnte- sondern schonungslos unterbreitete. "Kein..Arzt." bat er nur und versuchte trotz Schmerzen den Kopf zu heben. Dieser betete sich eh an der Brust des Retters und Etsuya musste um dessen Blick zusuchen nichteinmal die Wange von dieser lösen. "Bitte nicht..kein Arzt." wiederholte er dabei , wohlgleich er nur verschwommene Umrisse wahrnehmen konnte. Langes, dunkles Haar.. ein markantes Gesicht dass beschleunigten Atem holte- und eine Stimme die auf seinen Körper einwirken wusste wenn sein eigener Geist schon keinen Einfluss mehr auf ihn hatte. Etwas war an ihm anders, als an anderen Dorfbewohnern..doch Etsuya der fürchtete nach einem Arztbesuch unter ständiger Beobachtung zustehen nahm alle Kraft zusammen um seinen Wunsch deutlich zu formen. "Ich habe ein kleines Haus am Dorfrand.. das mit dem hellen Zaun.." versuchte er Worte zu finden, und seine Lippen immer wieder aufeinander zu pressen, damit sie gewillt waren weiter zu sprechen. Seine Brust hob- und senkte sich dabei beschleunigt. "bitte bring mich da hin.." hoffte er nur, dass sie nicht vielen Menschen begegneten. Er wollte nur schnell nach Hause um kein Aufsehen zu erregen. Dort würde es auch wärmer sein.. gab es doch in dem kleinen Haus einen Kamin der das Zimmer wärmte wenn man ihn feuerte.. ein Bett, ein Tisch und ein großes Regal voller Bücher. Alles im allen ein sehr einfaches Leben.. doch durchaus sauber und heimisch. Etsuya konnte nur die Hand aus dem Mantel gleiten lassen, und sie zittrig an die Brust des Retters legen, um ihn dazu anzuhalten ihm Antwort zu schenken. Immerhin konnte er so nicht aus seinem Gesicht lesen..
Der Wind ändert seine Farbe im Laufe der Jahreszeiten Denn ich habe etwas aus den Augen verloren
Kaneda musste den Kopf ein wenig weiter senken, um überhaupt die kraftlosen Worte auffangen zu können, die die blauen Lippen mühsam formten - oder zu formen versuchten. Er konnte dabei trotzdem weiterlaufen, immer darum bemüht den Körper des Jungen vor den Ästen zu schützen, die von beiden Seiten des Weges nach ihnen griffen. Auf dem Hinweg war Kaneda zwischen ihnen hindurch geschlüpft, nun nahm er sich nicht die Zeit, auszuweichen. Es erschien ihm komisch, dass der Junge keinen Arzt wünschte.. aber Kanedas scharfer Verstand kratzte schon ganz nahe an der Wahrheit, als er aufgrund der Worte die Vermutung hegte, der Junge könnte sich selbst etwas angetan haben und nun Angst davor haben, in eine Klinik eingewiesen zu werden oder ähnliches.. Es gab natürlich auch andere Gründe, die er in Betracht zog, etwa dass er eine Ärzte-Phobie haben könnte.. aber das alles war im Augenblick nicht wichtig. Er zögerte jedoch, dem Jungen sein Wort zu geben. Einmal ein Versprechen gegeben war er nicht geneigt, es zurück zu nehmen. "Also gut... ich bringe dich nach Hause." versprach er stattdessen murmelnd um den Jungen erst einmal zu beruhigen. Das Haus hatte er während seines kleinen Rundganges schon gesehen; er hatte sich das Dorf ja genau angeschaut. Und außerdem war ihm ebenso wichtig wie dem Jungen, jetzt nur kein Aufsehen zu erregen. Der Mantel schützte ihn zwar vor der Kälte, aber Kaneda trug ihn hauptsächlich, um damit die Schwertscheide und das Katana selbst zu verbergen, von dem er sich unter keinen Umständen trennte. Offen mit einem Katana herumzulaufen war nach wie vor eine Straftat, und nicht wenige Menschen erschreckten sich zu Tode, wenn sie ihn damit sahen - diese Lektion hatte er bereits gelernt.
"Ich weiß wo das Haus ist.. ich habe es auf dem Weg gesehen." wollte er weiter beruhigend auf ihn einwirken. Vor Ort konnte er immer noch entscheiden, ob ein Arzt benötigt wurde, oder nicht. Er besaß zumindest ein paar medizinische Grundkenntnisse. Vielleicht reichte das aus.. immerhin hatte er ihn wiederbeleben können. Plötzlich tauchte vor ihm ein heller Lichtfleck auf, das Ende des kleinen Waldabschnitts. Kaneda verlangsamte seine Schritte und schlug sich ins Unterholz. Hinter einem Baum fand er Deckung um aus sicherer Entfernung erst einmal einen Überblick zu bekommen, ob und wer sich auf der Straße aufhielt.. vielleicht konnte er sich auch durch den Wald direkt zum Haus schleichen. "Ist die Tür verschlossen? Oder die Fenster..?" fragte er leise und schlich nun trotz seiner unhandlichen, aber immer noch federleichten Last geräuschlos durch das Unterholz. Kein Blättchen raschelte, kein Ast knackte unter seinen feinen Schritten. Er sah kaum Menschen, ein paar Kinder spielten auf der Straße, waren aber in ihr Spiel vertieft. Wenn er nur schnell genug rannte, würde schon keiner etwas bemerken. Er holte einmal tief Luft und sprintete dann über den kleinen Abschnitt freien Feldes, übersprang trotz des Jungen den Holzzaun und hielt erst wieder im Schatten der Hauswand, wobei sein Herz wie verrückt schlug. Dennoch empfand er einen kurzen Stoß Adrenalin der wie ein Glückshormon durch seine Adern floß.. Er ließ sich jedoch nicht von dem Gefühl davon tragen, sondern senkte den Blick um den Jungen zu mustern, ob er den Sprint gut überstanden hatte. Kaneda hatte ihn so fest an sich gepresst wie er konnte, um die Stöße zu mildern, die durch das Rennen unvermeidbar waren. Erst dann schob er sich an der Wand weiter, bis er den Fensterrahmen erreichte, wo sich das Fenster aufdrücken ließ. Er hob seine Last durch die Öffnung und bettete ihn einen Moment auf dem Fenstersims, bevor er sich rasch selbst an ihm vorbei schob bevor noch jemand sie sehen konnte... Im Inneren hob er den Jungen noch einmal auf - und konnte sich im gemütlichen, kleinen Haus umschauen das er bewohnte. Da war nicht viel zu entdecken, das wichtigste war gerade auch das Bett, wo er den Jungen schließlich bettete. Erst dann wagte er zu verschnaufen und an seiner Seite auf ein Knie zu sinken, um mit der Hand über seine Stirn, seine Wange zu streichen. "Geht es noch?" fragte er ganz leise..
Die Erleichterung war nicht zu beschreiben. Etsuya fühlte sich so, als würde er in eine endlose Leere fallen nachdem die fremde Stimme versicherte ihn nach Hause zubringen. Das bedeutete erstmal keinen Arzt..und das wiederum verschaffte ihm die Erleichterung die sein Geist in momentaner Fassung nicht fassen konnte. Wo er zuvor sich noch fast gefreut hatte das ihm ein unangenehmes Gespräche erspart blieb- oder die vollkommene Entmündigung - glaubte er nun angst davor zu empfinden sich vollkommen zu verlieren. Was war nur geschehen? Mehr wie ein Bündel an Mensch war wirklich nicht von ihm übrig geblieben- dabei war er schon längst dem Jungen-Alter entwachsen. In dem warmen Reisemantel ging er immer mehr unter- und er konnte sich auch nicht dagegen wehren dass sich seine Muskulatur anspannte als die Arme des Fremden ihn enger an den Oberkörper zogen- der ihn schützte. Etsuya konnte auch nur die Augen zusammen kneifen, wobei sein Herz wieder aufgeregt schlug.. so konnte er über die heftigen Herzschläge die in seinen Ohren pulsierten erst garnicht bemerken wie lautlos sie sich fortbewegten. War er etwa schon wieder dabei an Bewustsein zu verlieren? Als er die Augen wieder aufschlug konnte er jedoch sehen wie die Blätter und Äste über ihnen thronten- ohne sie jedoch zu beühren. Nichteinmal das getrocknete Laub sollte unter ihnen knistern..was Etsuya schon Fassungslos machte. Wie konnte ein Mensch nur so viel Beherrschung aufbringen..
Das Schritttempo wurde mit jedem Meter vorrankommen immer angenehmer. Es war so gleichmäßig wie der Herzschlag dem Etsuyas Ohr an der Brust des Mannes lauschen konnte. Er war sogar fast wieder gewillt die Augen zufallen zulassen, als er doch bemerken musste dass sein Retter verharrte und an ihn eine Frage richtete. "Sind wir schon da?" fragte er leise, ungläubig - wobei er den Kopf zwar drehte aber nicht über den Rand des Mantels blicken konnte um etwas zu erkennen. "Das Fenster ist nie ganz geschlossen.. damit die Wärme sich vom Kamin nicht staut..." murmelte er. Den Kamin hatte er bevor er das Haus verlassen hatte natürlich gelöscht. Dennoch hatte sich bei ihm vor dem verlassen des Hauses der Rhytmus eingeschlichen das Fenster vor dem letzten Gang noch zu öffnen damit die Luft auch noch zirkulieren konnte. Er wollte kein stickiges Heim hinterlassen, wo er es doch so sehr gepflegt hatte. "Aber wie.." 'wieso?' hatte er fragen wollen, da fühlte er auch schon ein schärferen Luftzug an seinem Kopf der ihn dazu bewegte diesen wieder einzuziehen und an die Brust seines Retters zu schmiegen- der nun los sprintete. Er konnte nichteinmal beschleunigten Atem holen den er gebraucht hätte um einen überraschten Laut vonsich zugeben- da sollten sie auch schon mit einem Satz über den halbhohen Zaun landen. Federleicht.. als wäre der fremde Retter ein Abkömmling einer Katze. Keinem anderen Wesen hätte Etsuya so eine perfekte Eleganz zugestanden. Zumindest bis zum jetzigen Moment. Gegen seine Kopschmerzen konnte er sich jedoch nicht wehren. Ihm wurde schlecht..dabei war sein Magen ganz leer. Das er kurz auf dem Fenstersims ruhen musste bevor der ins Haus schlüpfende Kaneda ihn nachholen konnte, verschaffte ihm ein bis zwei atemzüge die seinen Magen beruhigten- dann fühlte dieser sich auch schon wieder mit beschleunigtem Herzschlag belastet, da der Fremde ihn natürlich ins Haus holen woltle bevor wirklich noch Kinder oder andere Bewohner sie beobachten konnten. Der Geruch von Kiefernholz stieg einem im Raum wieder in die Nase.. das Licht war durch die zugezogenen Vorhänge rötlich und zeigte auf dass der Raum einer Aufteilung unterlag. Sogar eine schöne Papierfaltwand konnte man in nähe des Ofens vorfinden, da sich dahinter ein kleiner Badbereich versteckte. Ein schöner Schank befand sich am Fußende des Bettes, dass der dunkelhaarige Retter ansteuerte und bot genug Stauraum für Kleidung. Etsuya musste das alles garnicht sehen, um zu begreifen dass er daheim war.
Ein wenig wohler fühlte er sich im Schutz seiner geschlossenen Haustür, so dass er sich auch - wenn auch unter schmerzen- in sein Bett legen lassen konnte. Hierbei hatte er die Augen geschlossen, und sie zuerst wieder geöffnet, als er einen Schatten wahrnahm. Der Schatten war nichts anderes als die Hand seines kühnen Lebensretters gewesen, der nun über seine Stirn strich- und anschließend über seine Wange. Etsuya konnte ihn nur gebannt dabei betrachten und nach flachen Atem schnappen.. zu mehr war er garnicht fähig gewesen. Zu sehr sah er sich von der Hand des Fremden vereinnahmt der ihm so sorgenvoll begegnete. "Danke.." konnte er nur auf die Frage erwiedern, ob es noch ginge. Er spürte wie die Hitze sich in seinem Herzen ausbreitete und den Weg durch das Blut in seinen Kopf suchte. Es waren zu viele Gefühle, die mit dieser einfachen Geste auftauten. Trauer..angst.. Erlösung von der Angst.. und das fortbestehen alter ängste. Er kam sich vor wie das einsamste Wesen auf der Welt, dass man nun entdeckt hatte..unvorbereitet und brach seiner Emotionen die in Tränen über seine Wangen rollten. Jede einzelnde bahnte sich langsam seinen Weg über die blasse Haut - und der junge Mann konnte nur seinen Arm aus dem Reisemantel lösen um mit den Fingern hilflos nach dem Arm des Fremden zu fassen. Er war jedoch zu kraftlos um sich daran zu halten- so dass das schmale Handgelenk wieder auf die Matratze zurück sank. Erst jetzt konnte sich Etsuya langsam auf seinen Retter besinnen.. und seine Gegenwart.
Der Wind ändert seine Farbe im Laufe der Jahreszeiten Denn ich habe etwas aus den Augen verloren
Kaneda hatte den Blick sehr besorgt auf den Jungen gerichtet... Ein rascher Blick verriet ihm, dass hier vermutlich niemand sonst wohnte.. und das legte die Vermutung nahe, dass sein Schützling vielleicht etwas älter war, als er zuerst angenommen hatte. Doch all diese schnellen, kurzen Eindrücke eröffneten sich ihm nicht bewusst. Er speicherte sie ihm Hinterkopf, während er sich auf die wichtigeren Dinge besann. Und das wichtigste war vorerst, das Leben das er gerettet hatte auch weiterhin zu erhalten und zu schützen. Er war noch längst nicht über den Berg.. auch wenn er es schaffte, zumindest Dank zu formulieren. Kaneda suchte totenbleichen Gesicht nach Anzeichen, wie schlecht es stand.. Er hatte Angst, dass der unsanfte Transport ihm nun den Rest gab - das würde er sich sicher nicht verzeihen. Seine Hand wollte schon von der eisigen Wange abgleiten, als er bemerkte, dass es keine weiteren Wassertropfen waren, die herabfloßen, sondern Tränen die aus den Augen stürzten. Kanedas Augenbrauen zogen sich voller Mitleid zusammen.. Er wusste nicht, warum dieser junge Mann weinte - er wusste nur dass es ihn berührte. Schon allein deswegen fasste er selbst nach der Hand des jungen Mannes, den er vor kurzem noch aus dem See gezogen hatte, als er dessen kraftlosen Versuch spürte, nach seiner Hand zu greifen. Er nahm sie in die seine und drückte sie sanft, streichelte mit dem Daumen beruhigend über den Handrücken. "Jetzt ist doch alles gut..." murmelte er dabei leise, beruhigend während seine andere Hand ganz zärtlich die Tränen von seinen Wangen wischten. Die Hände, die so kräftig zupacken konnten, von Arbeit und Schwertkampf schwielig geworden waren, waren trotz allem noch immer in der Lage, auch die sanftesten und zärtlichsten Berührungen zu spenden...
"Jetzt ist das alles vorbei.." murmelte er beruhigend und glitt mit der Hand von der nun auch noch tränen-nassen Wange ab, um sich über die Schläfe in den nassen Haarschopf zu verirren und das Köpfchen zu streicheln. "Dir passiert nichts..." versprach er weiterhin mit warmer, ruhiger Stimme. Sein Blick glitt durch den Raum.. er brauchte dringend etwas, um den Jungen warm zu halten. Er könnte sich eine Lungenentzündung einfachen.. er war sicher unterkühlt. "Du bist so kalt... aber gleich wird es wärmer.." flüsterte er ihm zu. "Ich bin sofort wieder bei dir." versprach er, und löste sich mit einem letzten sanften Druck der Hand schließlich von ihm, um zum Kamin zu gehen. Die Asche glimmte sogar noch leicht.. er stocherte ein wenig mit dem Schürhaken und legte dann ein paar Späne nach, bis diese Feuer gefangen hatten. Erst dann legte er einige dünne Zweige und zum Schluß Holzspalte nach, bis das Feuer munter prasselte. Aber noch war er nicht zufrieden damit. Er schaute sich überall um, bis er ein großes Badetuch im separat abgeteilten Raum fand.. das nahm er und kehrte zu dem Jungen zurück. Seine eigene Kleidung streifte er dabei ab.. er hatte erst jetzt bemerkt, dass er alles nassgetropft hatte. Aber wenn alles vorbei war, würde er auch aufräumen. Jetzt musste er nur selbst erst die nassen Sachen loswerden. Er rieb sich dabei nur mäßig mit dem Handtuch trocken, wobei sein Haar das größte Problem war. So lang war es durch die Nässe schwer geworden und tropfte unentwegt. Kaneda seufzte.. dagegen ließ sich jetzt nichts unternehmen. Wichtiger war der junge Mann.. dessen Haar ebenfalls klatschnass war. Kaneda beschloss daher, dass es das beste war wenn er den jungen Mann von seinem Reisemantel befreite und mit dem Handtuch ebenfalls trocknete. Er sagte ihm das auch, bevor er dazu überging. Immerhin sah er ihn dabei nackt, wenn er auch nicht so genau hinschaute. Dann breitete er die Decke über ihm aus und wickelte nach kurzem überlegen das Handtuch behelfsmäßig um den Kopf des Jungen, den er dabei im Nacken anhob. Die letzte Ecke des Handtuchs breitete er über das Kissen auf, um es nicht völlig zu ruinieren... denn was er vor hatte, war zu dem jungen Mann ins Bett zu kommen. "Hab keine Angst..." flüsterte er ihm dabei zu. "Ich mache das nur um dich zu wärmen. Das ist die beste und schnellste Art." flüsterte er. Und überhaupt war sein Schützling sowieso zu schwach, um sich gegen ihn zu wehren. Er rutschte daher ganz nahe und umschlang den dünnen Körper mit seinen Armen und Beinen. Nur Haut an Haut und unter der wärmenden Decke würde sich der Körper des Jungen bald erwärmen.. Kaneda spürte schon das seine eigene Haut beinahe wieder Normaltemperatur erreicht hatte - selbst wenn von seinen Haarspitzen weiter Wasser auf den Boden tropfte. Er wollte seinen Schützling dabei wieder an seine Brust ziehen.. ihn auf die Seite drehen, falls er doch noch einmal erbrechen musste. Und er wollte ihm so nahe sein um ihn im Blick behalten zu können.. noch war der Arzt nicht ganz aus dem Spiel. Ganz langsam und vorsichtig begann er, über den Rücken zu streicheln, an dem seine Hand lag.
Einmal mehr wünschte sich der junge Mann besser zusehen. Er konnte nur vage die Umrisse seines Retters erkennen - dabei war es nichteinmal so gewesen dass er gerettet werden wollte. Er war nicht wütend oder böse darüber gehindert worden zusein - aber etwas in ihm pochte in Angst vor der ungewissen Zukunft. Etsuya hatte doch keine Zukunft vor sich gesehen - und die Zeit davor das allein sein ohne seine innere Quelle zu ertragen ließ ihn fast schon wieder an dem Wunsch ziehen sterben zu wollen. Durch das zittern hindurch konnte er sich der Angst nicht verwehren - und das brachte auch die Tränen über seine Wangen die langsam versiegten. ' Alles wird gut werden' hatte der Fremde gesagt .. und etwas an diesem Satz der beruhigend wirken sollte machte dem jungen Mann nur noch mehr kummer. Was würde schon gut werden? "Aber.." durchschnitt seine Stimme seine Gedanken da sie von dem Fremden abgelenkt wurden. Dieser hatte sich entfernt um ein Handtuch zu besorgen- wie Etsuya nach einer weile feststellen durfte. Es war ihm nun wo er ein wenig mehr mitbekam, etwas unangenehm entkleidet zuwerden - da er ja weniger erkennen konnte wie derjenige der ihn betrachtete. Auf der anderen Seite fiel es ihm jedoch schwer weiteres Misstrauen in den fremden Retter zu setzen, der ihn so sehr faszinierte dass er ihm seine Rettung nichteinmal vorhalten konnte. Wenn sein ausgekühlter Körper dazu fähig gewesen wäre, hätten sich sicherlich Etsuyas Wangen rosa gefärbt..so konnte er nur den verschleierten Blick gesenkt halten, bis der Fremde ihm das Handtuch um den Kopf gewickelt hatte. Das dieser dabei ebenfalls kein Kleidungsstück mehr am Körper trug machte die ganze Sache nicht weniger aufregend.. doch um überhaupt eine Erwiederung zu finden oder Schüchternheit zuzeigen fehlte ihm einfach die Kraft.
Etsuya ließ es daher einfach geschehen das der Fremde sich zu ihm legte- und ihn auch noch nah an seinen Körper zog. Der junge Mann weitete dabei seine Mandelförmigen Augen und öffnete die schmalen, trockenenen Lippen um einen Spalt vor empfundener Überraschung. Er glaubte nie einem Menschen so nah gekommen zusein.. und selbst wenn es ein dienst an seinem Leben war- war es darüber hinaus noch für ihn etwas besonderes von der Nähe des Fremden zu profitieren. Es war angenehm sich beschützt und geborgen zufühlen.. und nicht nur gewärmt und davor bewahrt eine Lungenentzündung zu bekommen. Unterstützt wurde das Herz darin weich zuwerden, indem sein retter ihm auch noch über den Rücken strich, so dass sich über seine weiße Haut ein weiterer dünner Film an Gänsehaut bildete und ihn enger nach dem Hautkontakt suchen ließ. Etsuya drängte sich deswegen enger in die Arme des Fremden. Dessen Gesicht war für Etsuya - der erst jetzt wieder langsam die zusammengekniffenen Augen aufschlug- nun richtig zu erkennen. Es verschlug ihm dabei an Atem, den er sich nicht mehr traute dem Fremden entgegen zu hauchen, dessen dunkle Augen er nun mit den eigenen betrachtete. Ganz vorsichtig.. langsam, sollten die schmalen Finger aus der Decke hervorschleichen und sich an die Wange des Retters legen. Die Fingerkuppen glitten von da an sanft- jedoch bestimmend über die Haut die sich über die Wangenknochen spannte, bis hin zu den flachen Mulden der Mundwinkel. Auch das Kinn sollte beim weiteren abgleiten gefühlt werden und das Interesse wecken die Hand noch weiter zu strecken und nasse Strähnen von der Schläfe zu streichen. "Du hast dunkle Augen.." murmelte er nachdenklich.. "So genau ich auch hinsehe, in diesem Licht wirken sie auf mich leider nur dunkel. " fügte er an und neigte den Kopf leicht, was das Handtuch unter ihm zum rascheln brachte. Ihm kam der Schatten den das flackernde Kaminfeuer auf sie warf dabei nicht gerade entgegen. " Aber ich sehe, dass sie schön sind.. und warm." versuchte der schmale junge Mann sich an einem Lächeln. Es wirkte vielleicht anders als das, was man in seinem Gesicht lesen konnte wenn er nicht dem Tod entkam.. es war jedoch darüber hinaus um vieles ehrlicher.
Die Augen wieder schließend, konnte sich Etsuya nun wieder darauf konzentrieren dass er wirklich schon ein wenig Körperwärme spüren konnte die nicht von seiner eigenen Haut ausging. Es war jedoch zu früh um zusagen dass er wirklich spüren konnte wo sein zitternder Leib aufhörte und der stärkere, warme seines Retters anfing. "Darf ich denn deinen Namen wissen?" war es ihm wichtig seinen Wunsch nun zu formulieren. Er konnte dem Samurai dabei garnicht in die Augen blicken, ohne deutlicher Verlegenheit zuzeigen. Vielleicht hatte er auch angst dass er ihm eine Antwort verwehrte..es war einfach schwer die deffusen und ineinander verlaufenden Emotionen zu erklären. Wollte man sie fassen zerflossen sie einen schon in den Händen. Um ihnen Materie zu verschaffen musste man ihn erst dazu bekommen , zu vertrauen... und das hatte bisher noch keiner geschafft. Und so konnte Etsuya auch nicht anders als den zu ihm gehörende melanchonischen Blick zu erheben und nach den blaugrauen Augen seines Rettes zusuchen, deren Farbe ihm ebenso ein Rätsel blieb wie sein Name. Was ihm jedoch blieb waren die sanften Streicheleinheiten auf die er hin seinen kühlen Atem dem Kinn seines Retters gleichmäßig entgegen hauchte- und auch sein Bauch hob und senkte sich dabei im selben Takt. Er war zu schön, um ihn dauerhaft mit den Blicken bedenken zu können..auch wenn seine Augen gern länger an dem schönen Gesicht verweilen würden- würde das Herz es ihnen erlauben..
Der Wind ändert seine Farbe im Laufe der Jahreszeiten Denn ich habe etwas aus den Augen verloren
Unter anderen Umständen wäre es Kaneda sicher nicht eingefallen, einen wildfremden Mann zu entkleiden und sich auch noch nackt zu ihm zu legen - aber besondere Umstände erforderten besondere Maßnahmen. Und er war immer schon ein Mann der Tat gewesen. Überhaupt machte es die Sache wesentlich leichter, dass sie beide Männer waren. Er hätte sich unmöglich so zu einer Frau legen können. Seine größte Sorge war dabei, dass es seinem Schützling so unangenehm sein konnte dass er sich aufregte und davon noch mehr geschwächt wurde.. doch zu seiner Überraschung drängte sich der zerbrechliche Körper enger an den seinen.. sei es nun weil er die Wärme suchte, oder aber auch die Nähe, die er zuvor schon mit dem Griff der Hand kenntlich gemacht hatte. Für Kaneda war es einfacher, wenn er nicht mit Widerstand zu tun hatte. Nur weil er Dinge tat, die getan werden mussten, bedeutete das nicht, dass es ihn glücklich machte sich über den Willen anderer hinweg zu setzen...
Ihre Augen trafen sich überraschend, als der junge Mann den Blick zu ihm hob, und Kaneda konnte nicht anders als ein warmes Lächeln zu zeigen. Doch zu der Wärme gesellte sich auch eine Spur Verwunderung, als dieser eine noch geschwächte Hand erhob, um über sein Gesicht zu streicheln. Die Berührung irritierte Kaneda irgendwie, auch wenn er nicht direkt bestimmen konnte, wieso. Es war ihm nicht direkt unangenehm... er war es nur seinerseits auch nicht gewohnt, so angefasst zu werden. Oder das stimmte vielleicht nicht ganz, er mochte es nur einfach nicht, wenn es einmal jemand versucht hatte. Er konnte leider nicht immer verhindern, dass Menschen sich von ihm angezogen fühlten, und romantische Hoffnungen hegten - und das war ihm jedes Mal unangenehm, da er einfach nicht bereit war, sich zu binden oder an einem Ort zu verweilen. Bevor es jedoch unangenehm werden konnte, begriff er, was diese Berührung zu bedeuten hatte... Seine Augen weiteten sich überrascht. Jetzt fiel ihm auch der schwache Grauschleier auf, der über den Augen lag. Er hatte vorher nicht richtig hingesehen, die Haare waren im Weg gewesen, oder vielleicht hatte es auch an den Lichtverhältnissen gelegen die insgesamt nicht optimal waren.. so oder so hatte er nicht auf den ersten Blick bemerkt, dass der junge Mann den er gerettet hatte, beinahe blind war. "Sie sind blaugrau..." lächelte er milde. Er neigte behutsam etwas den Kopf, so dass ihre Gesichter einander näher kamen. Jetzt waren ihm auch die Berührungen nicht mehr unangenehm. Zart drückte er den geschwächten Körper enger an sich und schob sein eigenes Bein zwischen die seines Schützlings, um ihm so noch näher kommen zu können.
Letztlich senkte er den Kopf so weit, dass er die Stirn an die des jungen Mannes schmiegen konnte, der die Augen wieder geschlossen hatte. Dabei spürte er deutlich das Zittern des schmalen Körpers... es rührte ihn, er wollte ihn so gern schützen... seine Hand glitt liebkosend über den kühlen Körper, immer wieder vom Rücken über die Schulter, den Arm.. weiter zum Nacken, um diesen liebevoll zu streicheln. "Wie unhöflich von mir..." musste er dann aber einem Anflug von Humor in der Stimme antworten. "Erst jemandem das Leben retten, dann nackt in sein Bett zu schlüpfen und sich zu allem Überfluss nicht einmal vorstellen. Ich heiße Kaneda." fügte er dann den letzten Satz nach einer kleinen Pause hinzu. Dabei war es sonst gar nicht seine Art, die einfachsten Höflichkeitsformen außer Acht zu lassen. Aber die Umstände.. Nun blieb ihm nur noch zu warten, bis sein "Gastgeber" sich selbst vorstellte. Sein eigener Körper produzierte dabei schon wieder Wärme, weil er sich darauf konzentrierte.. er wollte unbedingt Leben und Wärme in den schlanken Körper fließen lassen. Die traurigen Augen rührten ihn, auch wenn sie den seinen oft genug auswichen.
Etsuya hatte wirklich nicht bemerkt dass sein geheimnissvoller Retter unsicher wurde und nicht wusste wie er auf seine Berührungen hätte reageiren sollen. Dafür schien ebenso wenig Reaktion über seine Mimik zu fließen wie durch seinen Herzschlag der unverändert an das Ohr Etsuyas pochte. Dabei hatte es der junge Mann wirklich nicht darauf abgesehen gehabt ihn zu verführen oder romantische Geständnisse zumachen.. er wollte ihn viel mehr auf seine weise 'sehen' weil er sich für ihn interessierte. Sei eigenes trostloses Leben wurde durch einen Farbfleck erhellt.. und diesen Farbfleck war niemand geringerer als der Mann der ihn im warm hielt. "Blaugrau..." lächelte der ebenfalls schwarzhaarige freundlich und zog die Augenbrauen zusammen. "Das ist ungewöhnlich für einen Japaner.." klang er weiterhin warm und entspannt- selbst wenn seine Stimme noch immer vom zittern bestimmt war das auch seinen schmalen Körper erschütterte. Dabei kam es ihm entgegen dass er sich sein Retter ihm unerwartet entgegen beugte und die Stirn an seine schmiegte.. und den blassen Jungen mann damit wieder zum verlegenen Lächeln brachte, bei dem sich seine Wimpern schützend über den gauschleier seiner Augen senkten. " Das merke ich an deinen Augen und Mundwinkeln.. und so kann ich dich auch relativ gut sehen.." gab er dabei murnelnd zu verstehen, weil es ihn erneut verlegen machte das Bein seines Retters zu spüren dass sich zwischen seine schob. Er merkte dabei wie er sich garnicht dagegen wehren konnte dass sich sein Bein dadurch ein wenig einbog und sein Oberschenkel sich an dem des Samurais wärmen konnte. Wie ungewöhnlich - befand er.. und auf der anderen Seite auch nicht. Denn auch wenn er den Mann das erste Mal im leben gesehen hatte, war es dieser Mann gewesen der ihm auch das Leben gerettet hatte. Und das schuf schon eine Bindung in der er weniger Schamgefühl empfinden musste..
Als er jedoch hörte wie der Fremde meinte von sich als unhöflich zu reden, sah der junge Mann wieder auf. Dabei verirrten sich aus seinem Kopfschutz ein paar schwarze Strähnen und kräuselten sich auf seiner Stirn und sein Herz klopfte wild vor Aufregung..denn er wusste nicht wohin der Satz führen sollte. Es half ihm auch nicht die Hand seines Retters auf seiner Haut zu spüren, wo sie trotz ihrer rauhen Beschaffenheit so zärtlich zu ihm gewesen war- das man nie glauben würde dass diese Hand sonst ein Schwert mit ebenso großer Präzesion führte. Als er dann jedoch immer mehr begriff, dass sich ihm der Fremde vorstellte, sollte ihm der angesammelte Fels aus Angst regelrecht vom Herzen abfallen. Würde ihn Kaneda nicht im Arm halten glaubte Etsuya- so würde er glatt zerfließen. Seine Wangen die zumidest an den weichen Partien unter denen sich die angedeuteten Wangenknochen wölbten rosig färbte, versuchte er dabei mit dem senken seines Kopfes zu kaschieren. Denn so sehr er sich auch darüber freute dass er nun wusste wie er seinen Retter ansprechen konnte, so sehr machte es ihn auch wieder verlegen daran erinnert zu werden auf welche Art sie Körperwärme erhielten. Es war trotzdem ein herzliches, wenn auch mit husten unterbrochenes Lachen dass der junge Mann dabei erklingen ließ. " So hat man sich mir auch noch nicht vorgestellt.." schmunzelte er und hob seine Hand die er zuvor an Kanedas Wange gelegt hatte an seine eigenen Lippen, damit er beim lachen seine weißen Zähne dahinter verbergen konnte. "Ich bin Etsuya Daisetsu. Aber Etsuya reicht aus..alles andere wäre mir unangenehm.." murmelte er nun verlegen ohne seinen Blick weiter zu heben. Seine Hand hatte sich nur zu einer leichten Faust geformt und zog sich zurück unter die Decke. Hier konnte sie vorsichtig nach der seite des Samurais suchen und sich an dieser auf Hüfthöhe stützen. Es fiel ihm dabei schwer die Augen nun von dem Samurai abzuwenden. " Ich habe dich hier noch nie gesehen.. bist du auf der Durchreise , Kaneda?" fragte er dabei und wagte ein Blinzeln. "Kaneda.." versuchte er sich wieder an dem Namen des Retters. Dem Lächeln das seine blassen Lippen einholte nach zu urteilen, schien er ihm aber zu gefallen.
Der Wind ändert seine Farbe im Laufe der Jahreszeiten Denn ich habe etwas aus den Augen verloren
"Das ist wahr..." lächelte er gütig. Es war nicht der rechte Zeitpunkt, mit Etsuya darüber zu sprechen, oder überhaupt jemals darüber zu sprechen. Kaneda hatte jedoch die Vermutung, dass er die ungewöhnliche Färbung seiner Augen dem Umstand zu verdanken hatte, dass sich in seine Blutlinie ein Gaijin gemischt hatte... Eigentlich undenkbar in einer extremistischen Sekte, aber gerade diese Widersprüche hatten Kaneda ja erst so aufgebracht. Er hatte später herausgefunden, dass einige der Begründer gar keine Japaner gewesen waren. Und selbst wenn sich eigentlich die Gene für dunkle Haare und Augen meist durchsetzten, hatten seine nicht braun nachgefärbt. Kein Wort darüber verließ jedoch seine Lippen. Er war auch mehr damit beschäftigt, den so verletzlich wirkenden Körper des jungen Mannes mit der freien Hand zu streicheln und so zu versuchen, ein wenig mehr Wärme in die weiche Haut zu bringen. Sein Knöchel schlang sich dabei um den Etsuyas, so dass seine Zehen sich behutsam an die des anderen schmiegten. Seine Füße waren noch immer wie kleine Eisblöcke. Kaneda empfand trotz der sehr intensiven Nähe kein Schamgefühl, auch wenn es vielleicht angebracht gewesen wäre. Es war für ihn vielmehr ein schöner Moment, in dem er die Nähe genießen konnte die ihm sonst vielleicht auch auf irgend einer Ebene seines Herzens fehlte. "Du siehst gut mit deinen Händen... deine Finger sind zart, aber kräftig." bemerkte er. Automatisch musste er dabei an einen Künstler oder Musiker denken, ohne den Gedanken jedoch auszusprechen. Er hielt es einfach nicht für angebracht, den jungen Mann in ein zu anstrengendes Gespräch zu verwickeln.. obwohl er glaubte, dass es vielleicht gut war, wenn er weiter wach blieb. Zumindest vorerst.. Denn ihm war natürlich nicht das Husten entgangen, dass er genau beobachtet hatte. "Na gut.. dann Etsuya." lächelte er und ließ sich darauf ein, den anderen beim Vornamen zu nennen. Immerhin hatte er anders herum auch keine Wahl, da Kaneda ihm mangels eines solchen keinen Nachnamen hatte nennen können. Dann, als die kleine Hand sich zurück unter die Decke zog, zuckte er zwar nicht zusammen, war aber doch ein wenig über die Berührung an der Hüfte überrascht. Er schüttelte bedächtig und langsam den Kopf, so dass er sicher sein konnte, dass Etsuya die Bewegung auch sehen, oder zumindest spüren konnte. "Nein, nicht auf der Durchreise.. Ich habe hier eine Arbeit als Erntehelfer gefunden." erklärte er schließlich. "Sehen konntest du mich bisher auch nicht. Ich bin heute erst angekommen und war gerade auf einem kleinen Rundgang, mir das Dorf und die Umgebung anzusehen, als ich dich am See gefunden habe. So aufregend habe ich mir das Leben auf dem Land ehrlich gesagt nicht vorgestellt." meinte er und ließ damit wieder einen Funken des gütigen Humors erkennen, der wohl irgendwo tief in seinem Herzen oder seiner Seele schlummerte. "Ich werde also noch mindestens den ganzen Monat hier sein.. wahrscheinlich sogar länger."
Etsuyas Augen waren vielleicht einmal braun gewesen. Er selbst konnte sich nicht daran erinnern. Zumindest waren sie jetzt selbst ergraut und hatten ihre Pigmente verloren so das es für ihn keinen Unterschied machte welchen Ton sie einmal getragen haben. Was man jedoch mit bestimmtheit sagen konnte, dass Etsuya durch sein Feingefühl das Gefühl von Kaneda praktisch aufnahm. Da der Retter sich nichts daraus machte sich an ihn zu schmiegen, obwohl sich zwischen ihnen kein Stofffetzen befand und ihre Körper eng verschlungen waren. Es gehörte schon viel dazu sich dabei so natürlich zu verhalten..und auf so emotionalen Boden wie den, den Etsuyas Herz bot - sollte dieses Einstellung Früchte im Sinne von Vertrauen tragen. Er freute sich von Moment zu Moment mehr darüber mit Kaneda in einem Bett zu liegen und leichte Gespräche zu führen. Die Welt war auf einmal so fern.. genauso wie die Realität, Verantwortung und Sinn. Was Etsuya wusste war, dass Kanda gerade da war.. und das war alles worauf er sich konzentrieren musste. Sein Retter machte es ihm aber auch leicht, da er nicht aufhörte seinen Nacken zu kraulen - so dass seine schwache Hand fortwährend von der Seite Kanedas rutschte und sich zur kleinen Faust zwischen sie ballte. "Findest du?" musste er dabei leise murmeln, wobei er versuchte seine Kräfte zu sparen und hielt dafür den Blick gesenkt. "Ich habe gern geschrieben..und auch viel Koto gespielt. Vielleicht sind sie davon zu gleichen zart..und krätig.." wählte er lächelnd Kanedas Worte , wobei seine Wimpern aufflackerten. Früher hatte ihm das schreiben von Romanen und das spielen von Musik etwas gegeben..aber heute.. " Ach, deswegen habe ich dich noch nicht gesehen.." war er ganz einsichtig und nickte bedächtig. " Ein Erntehelfer.." verstummte er, da er sich nun wieder daran erinnerte wie sie sich eigentlich kennengelernt hatten. Für eine bestimmte kurze- kostbare Zeit- hatte er das Gefühl gehabt schon immer hier zu liegen und mit Kaneda zu sprechen.
"Entschuldige.." murmelte er daher wieder bedächtig und senkte den Blick. " Hier passiert es auch nicht oft..das jemand fast ertrinkt. Niemand geht gern an den See weil man nicht auf den Grund sehen kann und er so tief ist.." murmelte er wieder, wobei sein Herz sich wieder ganz schwer anfühlte. Seine Stirn drückte er daher auch schwach an die Kanedas , was seinen Nacken soweit einbog dass er den Fingern des Retters auch besser ermöglichte seinen Nacken zu erreichen. Er spielte mit dem Gedanken, zusagen was er am See gesucht hatte und biss sich um Kraft zu sammeln, auf seine Lippen. In Kanedas Vorlage die er ihm gab indem er davon sprach, wohl länger an dem Ort zu bleiben, rettete er sich schließlich auch um nicht sogleich davon sprechen zu müssen dass er sich umbringen wollte. Es war so schön, ein wenig länger zu träumen, selbst wenn er längst wusste das alles kein Traum war und vor der Tür die Realität tobte. "Wenn du hier länger bleibst..dann, dann können wir uns öfter sehen , oder ?" fragte er vorsichtig und wagte es nicht den Kopf zu heben, sondern blieb still an die Haut des Retters geschmiegt liegen, um von dessen Wärme zu kosten und den Takt seines Herzschlages anzunehmen - damit das eigene seine Funktion nicht aufgab. "Ich würde mich freuen.. oft bekomme ich keinen Besuch." schüttelte er sacht den Kopf. " Hoffentlich gefällt es dir hier.. bist du denn schon viel herum gekommen?" wollte er dabei noch in Erfahrung bringen, seine Angst damit wegschiebend, indem er sich einfach weiterhin an Kaneda schmiegte - als würde dies allen Kummer von ihm halten. Es reichte Etsuya schon - wenn sein Kummer sich für diesen Moment vertreiben ließ.. " Mir.. ist noch kalt.. aber ich spüre langsam wieder etwas..außer Schmerz." hauchte er mit weichen Schultern die immer noch weiter zusammen fielen.
Der Wind ändert seine Farbe im Laufe der Jahreszeiten Denn ich habe etwas aus den Augen verloren
"Ah... also doch ein Künstler..." sagte er dann weich und sein Blick schmälerte sich, als er seinen kleinen Schützling ein wenig genauer betrachtete. Er sah unendlich erschöpft und zerbrechlich aus, aber trotz seines schlechten Zustandes war schon zu erkennen, dass er sehr feine und zierliche Gesichtszüge besaß. Kaneda glaubte zu erkennen, dass er große Schönheit besaß. "Schreiben und musizieren... du musst großes Talent besitzen." vermutete er und ein unbemerktes Lächeln schlich sich auf seine Lippen. "Ich würde gern etwas von dir lesen.. oder dich noch lieber spielen hören. Koto ist ein wunderbares Instrument.. es wird nur so selten gespielt." seufzte er. Ihm fiel aber auf, dass er bei seinem kurzen Rundgang durch das Häuschen kein Instrument gesehen hatte. Ein wenig wunderte ihn das, aber dann kam er zu dem Schluss, dass das Instrument wohl an einem sicheren Platz aufbewahrt werden würde, und nicht einfach so herumstand um Staub anzusetzen. Er war interessiert.. nicht nur an der Kunstfertigkeit und der Musik Etsuyas, sondern auch daran, was er wohl geschrieben hatte. Gedichte vielleicht? Haikus? Oder doch eher Romane? Und wenn ja, welcher Art mochten sie sein? Er wusste es nicht, wollte es aber heraus finden, sobald es dem jungen Mann besser ging. Einmal mehr fragte sich Kaneda, wie alt er wohl war..
"Kein Grund, sich zu entschuldigen.." Auch Kaneda wollte nicht mit der Tür ins Haus fallen. Es wäre zwar ein guter Moment gewesen, zu fragen was er am See gesucht hatte, aber er kam zum Schluß, dass er es schon noch früh genug erfahren würde, und wenn nicht dann zu einem besseren Zeitpunkt nachfragen wollte. "Eigentlich habe ich gedacht, am See wäre es ganz schön. Ich habe aber nicht viel Zeit gehabt, mich umzuschauen. Es war nur irgendwie.. schön ruhig." wusste er nicht, wie er sonst den Ort hätte beschreiben sollen. Er glaubte dass es irgendwie friedlich gewesen war, wie das in der Natur eben so war, wenn man sich nahe am Wasser befand. Nur die vertraute Nähe, die sie miteinander teilten hielt ihn davon ab, mit den Schultern zu zucken. Stattdessen verblieb er still, nur seine Zehen streichelten beinahe liebevoll Etsuyas Ferse nach. Und natürlich die liebkosenden Finger, die beruhigend weiter die samtige Haut des Nackens streichelten.. "Aber natürlich.. ich wüsste nicht was dagegen spricht. Tagsüber arbeite ich, aber die Abende habe ich frei." Kaneda runzelte leicht die Stirn. Im ersten Moment konnte er nicht recht greifen, was ihn an Etsuyas Worten störte.. es dauerte geraume Zeit, bis er es bemerkte. Er hatte gesagt, er bekam nicht oft besuch. Das kam ihm ungewöhnlich vor, insbesondere für einen Musiker. Gerade hier im Dorf, so hatte er gedacht, müsste so jemand doch ständig von willigen Zuhörern umgeben sein. Es war merkwürdig.. aber er sagte nichts. Er würde schon noch herausfinden, was vor sich ging. Langsam.. "Wenn es dir gut genug geht, kannst du mich ja bei der Arbeit besuchen. Eine Decke mitnehmen.. die Sonne tut dir vielleicht sogar gut, tagsüber ist es oft noch warm." schlug er sogar vor. "Weißt du, mir gefällt es hier ganz gut, auf den ersten Eindruck. Und ich bin wirklich schon sehr viel herumgekommen.. ich habe fast ganz Japan schon bereist." lächelte er. Das war vielleicht ein bisschen übertrieben, aber jede größere Stadt hatte er schon einmal besucht, das zumindest stimmte. Und zu Fuß hatte er große Teile des Landes bereist. "Hm... möchtest du, dass ich mich an deinen Rücken schmiege?" fragte er dann aber auf Etsuyas Worte hin, dass er schon wieder etwas anderes spürte, als Schmerzen. Er hätte zumindest selbst nichts dagegen, sich eng an den Rücken des jungen Mannes zu schmiegen, die Knie in seine Kniekehlen zu schmiegen und ihn so warm zu halten...