Lui nickte verständnisvoll. Er rutschte ein wenig zur Seite damit sich Jonahs umdrehen konnte. Er zog dem Jungen auch die Decke am Rücken zurecht, ehe er nachrutschte um sacht seinen Rücken zwischen den Schulterblättern zu kraulen. ?Schon okey..? murmelte er. Zumindest würde ihn Jonahs Niedergeschlagenheit nicht zurück schrecken lassen. Nach wie vor faszinierte er ihn..und dadurch fühlte sich auch Lui bewegter. Jeder Schritt den er nach vorn setzte, war eine Veränderung..und Veränderung war in diesem Fall wirklich etwas Gutes. Er hatte es satt, sich nicht vorwärts bewegen zu können, während das Leben an ihm vorüber zog. Seine eigene Niedergeschlagenheit sollte ein Ende haben. Und Lui wollte, dass Jonah einen wichtigen Platz in seinem neuen Leben einnahm..und er wollte dazu beitragen, dass sich das Leben des Jungen ebenfalls verbesserte. ?Möchtest du dass ich gehe??Fragte er noch, während er Jonahs Rücken streichelte.?Ich kann später auch noch mal vorbei kommen, oder Morgen.? Schlug er vor, falls der Junge doch allein sein wollte. Ansonsten würde er einfach hier bleiben, ihn streicheln und warten bis er eingeschlafen war, bevor er etwas las, und dabei immer ein Auge auf Jonah warf.
Jonah brummelte etwas Unverständliches, das so gut wie alles bedeuten konnte. Die Augen hatte er geschlossen, aber die angespannten Schultern schienen sich nach und nach zu lockern, so dass zumindest deutlich wurde, dass ihm die Berührung nicht unangenehm zu sein schien. Tatsächlich fand er es ganz angenehm, und gönnte sich deswegen den Luxus, nach und nach tiefer in das weiche Polster namens Schlaf zu versinken. Und selbst wenn dieser Schlaf nicht besonders tief und überwiegend durch den Einfluss von Medikamenten ausgelöst wurde, war er doch etwas erholsam. Wahrscheinlich würde er sich sogar freuen, wenn er nach dem Aufwachen nicht allein war. Er seufzte und streckte sich leicht im Schlaf, vielleicht träumte er auch. Zumindest sein Gesicht blieb friedlich, nur sein Mund stand ein klein wenig offen, halb in seinem Ärmel versunken. Kurz darauf drehte er sich zur anderen Seite und schmiegte die Stirn an Luis Arm. Seine Brust hob und senkte sich ganz langsam, während er ein wenig tiefer in friedlichen Schlaf versank. Jetzt würde der Künstler es schwer haben, sich loszumachen.
Ein überraschendes Lächeln schlich über Luis Lippen. Seine Gedanken waren abgedriftet und schwammen irgendwo zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart lose umher, ohne sich an etwas Bestimmtes festhalten zu können. Lui glaubte in diesem Moment der Ruhe auch verstehen zu können, wieso er sich unbekannter weise so schnell zu dem Jungen hingezogen gefühlt hatte. Das lag ausnahmsweise nicht an seinem Temperament oder seiner Mentalität. Es lag auch nicht daran dass er sich in blinde Hoffnung stürzte. Lui erkannte das er in einer ähnlichen Lage gewesen war wie der Junge der sich zu ihm gedreht hatte und sich nun an seinen Arm schmiegte. Lui nahm seine freie Hand um weiter den Nacken unterhalb des dunklen Haaransatzes zu kraulen. Genau da, wo die Haut besonders weich gewesen war- und ganz warm. Lui selbst hatte keinen Unfall erlitten..und er glaubte auch nicht deswegen die Ohnmacht und die Schmerzen verstehen zu können, mit denen Jonah zu kämpfen hatte. Aber auch ihm war etwas geschehen. Er hatte Jahr für Jahr mehr von seiner Persönlichkeit eingebüßt, bis fast nichts mehr davon übrig geblieben war. Kein Stolz, kein Biss..einfach alles, womit er groß geworden war- und was ihn zu dem Menschen gemacht hatte, zu dem er selbst stand. Jetzt erkannte er sich selbst kaum wieder..nahm Niederlagen und Verletzungen als gegeben hin, selbst wenn er spürte wie die Wunden mental bluteten. Lui glaubte sich lang in einem wachkoma befunden zu haben, was ihn regungslos den eigenen Verfall beobachten lassen hatte, ohne das er selbst darauf hatte Einfluss nehmen können. Das sollte unbedingt aufhören..aber das fiel ihm nicht leicht, wenn er in die Augen derer sah- die ihn von früher kannten. Er hatte Angst davor seine Freunde zu enttäuschen..und das war kein schönes Gefühl. Jonah kannte ihn aber nicht..er nahm ihn so an, wie er ihn kennenlernte. Vielleicht half das Lui selbst auch dabei, entspannter zu sein. Er hatte so wieder seinen Stolz und seine Passion zurück zu gewinnen. All sein Gefühl.. ?Du bist so süß, wenn du schläfst.? Murmelte Lui abwesend, als er aus seinen Gedanken auftauchte und sich sein Blick wieder klärte. Jonahs Lippen schmiegten sich an seinen Ärmel..und Lui kam nicht umhin zu spüren, wie warm es ihm dabei um sein Herz wurde. ?Ich werde immer für dich da sein..? fügte er noch an, und streichelte über das kurze Haar, direkt über der zu spürenden Narbe. Vorsichtig und leicht glitten seine Finger durch den weichen schwarzen Flaum?
"Mh...?" murmelte er fragend, und regte sich leicht. Seine Nase war irgendwo im Stoff des Ärmels verschwunden, so dass er erst etwas schlecht Luft bekam, und mit einer schweren, müden Hand nachwischte. Seine Augen gingen langsam wieder auf. Er blinzelte zwei, drei mal langsam, dann war sein Sichtfeld wieder klar. "He... du bist ja noch da." lächelte er. Unter der Decke fühlte er sich angenehm warm. Und sogar ein wenig sicherer. Er spürte noch die warme Hand im Nacken, wo seine Haut angenehm kitzelte. Und Lui roch gut, bemerkte er nun, wo seine Nase wieder frei war. "Habe ich lang geschlafen?" Sein Blick wanderte rasch zum Fenster, aber anhand des Sonnenlichts nahm er an, dass es nicht so lang gewesen sein konnte. Sein Schläfchen hatte ihn jedenfalls erfrischt und auch wieder in etwas bessere Stimmung versetzt. Außerdem bekam er langsam wieder Hunger. Sein Kaffee, den er nur halb getrunken hatte, war sicher kalt, aber vom Kuchen musste noch was übrig sein, nahm er an. Auch wenn er es nicht sagte sah man ihm an, dass er sich wohl gefreut hatte, nicht allein aufzuwachen. Er erinnerte sich... was er vor dem Schlafen noch gehört hatte, und sein Gesicht hellte sich auf. Er erinnerte sich! An etwas Gutes. "Du bist also echt single, hm?" lächelte er weich. "Gibt's denn jemanden, für den du dich interessierst?" wollte er dann wissen, und zeigte auf die rosa Tüte. "Und ist da noch was übrig?" Die Hand wanderte zu seinem Bauch und rieb diesen oberhalb der Decke.
?Hey, guten Morgen!? strahlte Lui warm, wobei seine Stimme von einem samtigen Unterton getragen wurde der ihr eine gewisse Ruhe und Tiefe verlieh. ?Du hast nicht lang geschlafen..aber lang genug um deinen Kaffee kalt werden zu lassen. Ich habe ihn vorher ausgetrunken.? Gestand er mit einem Lächeln, bei dem er weiterhin den Nacken des Jungen kraulte, der von der Bettschwere ganz warm geworden war. ?Vom Kuchen? Klar.? Bei seiner letzten Aussage strahlten Luis Augen erneut. Er brach etwas vom Brownie ab und hielt es vor Jonahs Lippen. ?Ich kann im Übrigen gut kochen. Wenn du mir sagst was du magst, bringe dich dir das nächste Mal ein Lui-Spezial mit.? versprach er, und nickte knapp- was eine der langen Strähnen den Weg zurück in sein Gesicht bahnte. ?Hey und du hast dich ganz richtig erinnert..? freute sich der dunkelhaarige weiterhin, und belohnte Jonah dafür mit weiterem , leichtem kraulen unterhalb seine Haaransatzes. ?Ich bin Single..und ich habe angefangen mich für jemanden zu interessieren.? Machte er es spannend, und senkte seinen gutmütigen Blick mit einem Lächeln. ?Du darfst dich also ruhig geschmeichelt fühlen.?Verriet er ihm damit sogar, dass er sich für ihn interessierte. Das war ja auch die Wahrheit gewesen..und Lui glaubte nicht , dass er Jonah vor seinen Gefühlen schützen musste. Er sollte wissen, warum er unbedingt ihn gern jeden Tag besuchen kommen wollte..
Jonah schmunzelte, als er hörte, dass man seinen Kaffee ausgetrunken hatte. "Mir schmeckt der immer wie altes Spülwasser, wenn er erst kalt ist. Ich wette, für dich auch. Meiner war mit Milch und Zucker." Er erinnerte sich sogar, dass Lui seinen schwarz trank, aber da half ihm vielleicht die Gedächtnisstütze, dass er auch schwarze Sachen und Haare hatte. Bald würde er ja merken, ob die Informationen vom Kurzzeitgedächtnis auch wieder ins Langzeitgedächtnis gelangen würden. Er ließ sich dabei auch zufrieden den Nacken kraulen und naschte das angebotene Browniestück von Luis Fingern, die er mit den Lippen streifte. Er kaute zufrieden und freute sich über den schweren, intensiven Geschmack von Schokolade. Die Welt kam ihm für einen Augenblick nicht besonders feindlich vor, gerade weil es auf dem Gang auch still war, und er überlegte, was wohl sein Lieblingsgericht war und er gerne essen würde, als ihm wieder ein heftiger Schmerzblitz durch den Bauch und in seinen Kopf schoss. Hätte man ihn jetzt mit Brownies weiter gefüttert, hätte er ihm wohl eher in den Finger gebissen. So blies er nur ärgerlich die Wangen auf. "Wieso das denn jetzt?" schmollte er nur, und schaute von unten her auf. "Wofür soll ich mich geschmeichelt fühlen?" Er hatte den Wink offensichtlich nicht verstanden und geschlossen, dass es sich um jemand anders handelte. Jetzt war er natürlich geknickt und ein bisschen eingeschnappt. Von der emotionalen Achterbahn bekam er selber Bauchschmerzen. Er stöhnte und wollte sich am liebsten die Decke über de Kopf ziehen.
Lui schmunzelte, und schüttelte den Kopf. ?Ganz langsam..? versuchte er beruhigend auf Jonah einzuwirken. ?Okey..ich gebe zu, dass ich darin vielleicht nicht gut bin..aber als ich sagte, du sollst dich geschmeichelt fühlen..? unterbrach er, um seine Hand weiter von Jonahs Nacken an dessen Hinterkopf gleiten zu lassen- damit er nicht wegsehen konnte-..?..meinte ich damit, dass du dich geschmeichelt fühlen sollst weil ich an dir interessiert bin.? Klärte Lui auf, und strich dem Jungen mit der freien Hand über die Stirn. ?Ich habe dich gesehen, und gespürt dass du etwas Besonderes bist. Und nun wo ich dabei bin dich kennen zu lernen, weiß ich das mein Gefühl richtig war.? Fügte Lui noch an, ohne Jonah aus seinem Griff zu entlassen. ?Du gefällst mir..niemand sonst.? Versuchte Lui es Jonah so deutlich zu machen, wie es ihm möglich war nachdem er begriffen hatte- dass Jonah den Wink nicht verstanden hatte.
Erst wollte Jonah nicht zuhören und kämpfte gegen Luis Hände an. Aber als er begriff, worauf dieser hinaus wollte, erschlaffte seine Gegenwehr plötzlich. Sein grimmiger Gesichtsausdruck schmolz und machte einem scheuen Lächeln platz. Den Kopf konnte er zwar nicht wegdrehen, aber seine Blick glitt zur Seite und ein Hauch von Röte kam auf seine Wangen. "Oh..." sagte er nur. "Oh..." verklang das zweite, leisere Hauchen. Dann konnte noch mal einen Blick auf Lui werfen. Er fühlte sich zufrieden, und der erst noch schmerzende Bauch schien nun eher voller Schmetterlinge. "Nur für mich." wiederholte er, und lachte ganz leise. Jetzt hatte er es begriffen, und kam sich ein bisschen albern vor, wieder schwindelig. Aber diesmal nicht von seinen Medikamenten. Und es machte auch nichts, denn er lag ja schon. Seine eigenen Gefühle konnte er sich nicht erklären, aber wenn man kein Gedächtnis mehr besaß, lebte man mehr in der Gegenwart als jeder andere. Ging es nach ihm, hätten sie bereits ein Paar sein können, und er es nur vergessen haben. Jonah schob seine Zweifel und seine Schüchternheit beiseite und hob den Arm, um ihn um Luis Nacken zu schlingen. "Ich bin seit zwei, oder zweieinhalb Monaten single. Ungefähr. Und bisexuell..." murmelte er. Seine Gedanken waren auf eine angenehme Art verwirrt. Er musste jeden Tag die selben Menschen immer wieder neu kennenlernen, und er war es müde. Deswegen war für ihn ein Tag des Kennens so gut wie eine Woche, oder zwei Monate... "Brich nicht mein Herz... es tut weh, selbst wenn ich vergesse." flüsterte er ganz leise, dafür um so eindringlicher.
Als Lui die angenehme Schwere von Jonahs Arm in seinem Nacken spürte, war das für ihn die Einladung dafür, seine Füße vom Boden zu lösen, und sich langsam über den Jungen zu legen. Lui war dabei darauf bedacht, nicht sein volles Gewicht auf Jonah zu verlagern. Er stützte sich mit den Ellenbogen ab- was sein Silberarmband über die Lederschnüre an seinem Handgelenk gleiten ließ. Dabei hatte er den Jungen nur mit dem Blick seiner dunklen Augen fixiert..und ihn in einen Vorhang aus seinen eigenen Haaren gehüllt- bevor er seine Lippen über die von Jonah senkte. Er küsste sie sanft- wobei der Geruch von herben Zedernholz stärker um Jonahs Nase wehen musste. Nur langsam löste Lui seine Lippen von den zarten des jüngeren, dessen Blick er suchte. ?Du kannst dich auf mich verlassen..? murmelte er, und streifte mit den geöffneten Lippen die Stirn des Jungen. ?Dein Herz ist mir wichtig. Du..bist mir wichtig.? Flüsterte Lui im weiter sacht zu, während eine Hand durch das kurze, schwarze Haar des Jungen glitt. ?Ich werde jeden Tag kommen, um dich zu besuchen. Und wenn du hier raus kannst..will ich dass du zu mir kommst.? Verriet er Jonah weiterhin und war erleichtert, dass er sich trotz seiner scheu auf ihn einzulassen schien. Die Gegenwart, in welcher Jonahs bewusster lebte als jeder andere, schien Lui dabei zu helfen..?Du könntest ja..ein kleines Herz neben mein Bild auf deiner Karteikarte malen..? murmelte er deswegen glücklich und mit gesenkter Stimme, während er Jonahs Schläfe nachzeichnete.
Jonahs Augenlider waren herabgesunken, während er den Kuss erwiderte. Seine eigenen Lippen schmiegten sich sinnlich und süß an Luis, während seine Finger sich teilten und in dessen langen Haaren verschwanden. Er mochte den Duft von Parfume und Schokolade, den flüchtigen aber durchaus wahrnehmbaren Geschmack von Kaffee und Zigaretten... er war selbst Gelegenheitsraucher. Während sein Herz ihm heftig gegen die Rippen schlug, öffnete er die Augen als sich ihre Lippen wieder voneinander trennten. Er fühlte sich erstaunlich schüchtern, als ihre Blicke sich begegneten. Er war schließlich ein wesentlich älterer Mann... und Jonah spürte, dass sein Herz brechen würde, wenn er sich auf etwas einließ, das zu nichts führte. "Zu dir..." wiederholte er, und kostete die Worte dabei auf seiner Zunge, als er sie aussprach. Ob das ging? Er sah zweifelnd aus, aber gleichzeitig lag ein unbestimmtes Verlangen in seinen Augen. Eine stille Sehnsucht, die er nicht hätte in Worte kleiden können. "Weißt du... ich glaube ich will kein Herz neben dein Bild malen. Ich will sehen, ob mein Körper sich erinnert, selbst wenn mein Kopf es nicht kann." Sein Lachen war unsicher, man hörte deutlich die Nervosität darin mitschwingen. "So wie ich auch Schmerzen spüre, ohne zu wissen woher sie kommen. Vielleicht hilft es ja meinem Kopf auf die Sprünge." murmelte er, ohne aber viel Gedanken darauf zu verschwenden. Sein Kopf war ihm gerade recht egal. Ein leises Zittern erfasste seinen Körper, vielleicht weil eine angestaute Anspannung sich langsam entlud.
Lui küsste die Stirn von Jonah, als er die seidigen Strähnen beiseitegeschoben hatte. ?Dann werde ich dich mit meiner Nähe erinnern?und meinen Küssen.? Schlug der ältere dann vor. Als er das leichte zittern bemerkte das Jonah vereinnahmt hatte, drängte er sich enger an ihn, so dass sein Bauch und seine Hüfte den Jungen am Bett fixierten. Er atmete flach durch seine Nase aus, was in einem zufriedenen Seufzen mündete. ?Weißt du, ich finde es richtig süß wenn du so schüchtern bist?? verriet er dem Jungen eine weitere Vorliebe von sich selbst. Lui stand auf schüchtern..weil das seinen Beschützerinstinkt ansprach. ?..aber ich mag auch deinen Humor..deine Skepsis und deinen Verstand.? Murmelte er leise, bevor er Jonahs Lippen noch einmal mit den eigenen vereinte. ?Ich weiß ja nicht, wie du zu deinen Eltern stehst..aber wenn du neu anfangen möchtest, können wir das gemeinsam, sobald du fit genug dafür bist das Krankenhaus zu verlassen. Ich fühle mich durch dich so lebendig..du glaubst gar nicht wie schön es ist, mein eigenes Herz spüren zu können.?