Der Tag hatte ganz unspektakulär begonnen. Jenny hatte wie immer gefrühstückt, war gerade so rechtzeitig zur Schule gekommen und hatte den Unterricht ohne nennenswerte Vorfälle hinter sich gebracht. Mit den Gedanken war sie dabei aber ganz woanders gewesen, nämlich bei dem Turnier, dass nach dem Unterricht stattfinden sollte. Volleyball war immer noch einer der beliebtesten Kurse bei den Mädchen aller Altersstufen, und da sie keine Mannschaften von anderen Schulen einladen konnten, und die Komplexverwaltung auch nicht zuließ, dass sie die Turniere anderer Schulen besuchten, war das jährliche Turnier, dass sie selbst veranstalten, für alle eine große Sache. Bei dem Turnier traten Mannschaften aus allen Jahrgängen in einem KO-System gegeneinander an, bis ein Sieger feststand. Sie spielte selber schon seit Jahren, und da es diesmal ihr letztes Schuljahr war, hatte das Turnier für sie eine besondere Bedeutung.
Wie und warum das Unglück dann zugeschlagen hatte, konnte sie später gar nicht mehr genau sagen. Sie war beim Aufwärmen ausgerutscht und so ungünstig gefallen, dass sie sich sowohl am Knöchel, als auch am Handgelenk der rechten Hand verletzt hatte, mit der sie den Sturz abfangen wollte. Da es auch nur eine einzige Reservespielerin in ihrer Mannschaft gab, musste sie zu allem überfluss auch noch alleine zur Klinik humpeln. Schlimmer als der körperliche Schmerz war dabei schon eher der emotionale... Sie verpasste ein wichtiges Spiel, das vielleicht das letzte sein konnte, wenn ihre Mannschaft nicht gewann. Und selbst wenn, mit den Verletzungen würde sie die nächsten Wochen ohnehin nicht spielen können. Jedenfalls nicht mit voller Kraft. Seufzend humpelte sie zur Anmeldung und ließ sich weiterleiten. Man schickte sie zu einem Zimmer, in welchem ein junger Arzt eine Voruntersuchung machte, und sie dann - zur Sicherheit, wie er sagte - zum Röntgen weiter schickte. Wenigstens musste nicht so lange warte, weil wenig los war, aber sie freute sich nicht zu hören, dass im Knöchel ein Band angerissen war. Zumindest das Handgelenk war nur geprellt, aber vom Turnier konnte sie sich trotzdem verabschieden. Sie war so unglücklich, dass sie am liebsten angefangen hätte zu weinen, nachdem der Arzt sie auf der Liege sitzend zurück ließ, wenn nicht der Arzthelfer in dem Moment hereingekommen wäre, der ihr eine Beinschiene anlegen, und ihr ein paar Krücken zur Entlastung des Gelenks bringen sollte. Sie bemühte sich, die Tränen wegzublinzeln und zwang sich zu einem Lächeln. "Hallo..." grüßte sie die junge Arzthelferin, die schon alles dabei hatte.
Was für ein aufregender Tag. Heute gab es viel auf der Krankenstation zu tun. Das kam Lian ganz gelegen, denn so konnte er am meisten lernen. Er durfte Verbände wechseln, Fieber messen und Blutabnehmen. Letzteres tat er jedoch nur auf direkte Anweisung vom Arzt, der ihm diese Aufgabe anwies wenn die Adern des Patienten sehr gut ausgeprägt waren. Durch sein Feingefühl bewies der blonde Lehrling jedoch ein Talent dafür. Ihm wurde lediglich ein wenig blass um die Nasenspitze.. Seine langen Haare hatte er im Nacken praktisch zu einem Zopf zusammen gebunden. Darüber trug er nur seine weiße Arbeitskleidung. Es war ein Shirt mit kurzen Ärmeln und einem Kragen. Die obersten Knöpfe hatte er offen gelassen, damit der Kragen nicht zu eng an seinem Hals anlag. Seine brust zierte ein sauberes Namenschild. Der Arzt hatte ihm gerade eine Akte übergeben. Er sollte eine Beinschiene in der passenden Größe für einen Bändernriss besorgen..und ein Paar einstellbare Krüken. Das klang nach einem Sportunfall..und als Lian mit den Augen über die Akte huschte, sah er auch schon dass er mit seiner Vermutung ganz richtig lag. Er wollte die junge Patientin auch nicht lang warten lassen und beeilte sich um die Verordnungen zu besorgen. Dann musste er auch nur langsam noch die Tür zum Behandlungszimmer aufschieben- und wurde auch schon mit einem traurigen "Hallo" begrüßt.
"Hey.." Grüßte er mit sanfter Stimme zurück. Sein Blick huschte über das Mädchen dass auf der Liege saß. Sie wirkte sehr bedrückt.."Mein Name ist Lian." stellte er sich freundlich vor und verneigte den Kopf. Erst dann trat er zur Liege herüber und neigte leicht den Blick. "Du bist sicher Jenny..dein Bein tut sicher weh, oder?" Fragte er weiterhin. Dann lehnte er die Krücken an den Bettrahmen und hielt Jenny die Beinschiene vor. "Das wird dir helfen dein Bein zu entlasten. Ich würde dich nur bitten, sie Nachts immer abzunehmen..das ist besser für die Durchblutung." nickte der junge Blonde, und kniete sich dann vor das Mädchen, während er langsam die Schiene aufklappte. "Das war ja sicher ein ganz schöner Schreck heute.. wie ist das ganze denn passiert?" versuchte er im Gespräch zu bleiben. Aus irgendeinem Grund wurde er sehr nervös. Vielleicht lag das ja daran das Jenny hübsch war..oder so einen traurigen Eindruck machte? Lian konnte es sich nicht erklären. Aber er war von Natur aus auch eine sehr schüchterne Person..
"Ach... es tut eigentlich gar nicht soooo weh." meinte Jenny und senkte den Blick, weg vom Arzthelfer auf ihren Knöchel. Sie starrte ihn so konzentriert an, als könnte sie ihn durch reine Willenskraft zum heilen bringen. "Wie genau es passiert ist weiß ich selber nicht genau. Ich bin irgendwie ausgerutscht und bevor ich überhaupt begriffen habe was passiert ist, lag ich schon unten. Ich habe den Sturz noch mit der Hand abfangen können, aber den Knöchel habe ich mir trotzdem verdreht..." erzählte sie, nachdem sich der blonde Schopf wieder in ihr Sichtfeld geschoben hatte, während Lian ihr die Beinschiene anlegen wollte. Sie seufzte. "Ich bin auch so ein Trottel. Der Arzt hat mir gesagt, ich darf das Gelenk mindestens 2 Wochen nicht belasten. Je nach Heilungsprozess kann es sogar länger dauern. Da kann ich das Turnier auch vergessen. Und es war das letzte das ich in der Oberstufe spielen konnte." Sie wischte sich mit dem Ärmel ihrer Sportjacke über die Augen. "Ab nächstem Jahr spiele ich in der Universitäts Mannschaft mit... Aber das ist dann eine ganz neue Mannschaft. Nicht alle meine Freundinnen mit denen ich jetzt spiele werden studieren. Und wir haben seit der Mittelschule zusammengespielt. Das waren immerhin fünf Jahre..." erzählte sie, während sie Lian beim anlegen der Schiene beobachtete. "Naja... aber das ändert jetzt auch nichts mehr. Weißt du, was meine Eltern sagen werden? Dass ich so wenigstens mehr Zeit habe für die Abschlussprüfungen zu lernen. Als ob mich das aufmuntern würde. Die haben Ideen..."
Lians schmale Lippen formten ein Lächeln. "Das kann ich mir bildlich vorstellen." meinte er als Jenny erzählte wie begeistert ihre Eltern wohl über den Sportunfall waren. " Meine Eltern wären nicht so begeistert gewesen. Die sind wahre Sportfanatiker. " Ließ er sie auch wissen und hob nur leicht ihr Bein an der Wade an, damit er die Beinschiene darunter schieben konnte. Er justierte den Klettverschluss und zog die Schiene schließlich leicht fest. "Tut das weh? Es darf nicht zu fest anliegen..aber auch nicht zu locker." Fragte er nach und ließ eine kleine Pause damit Jenny prüfen konnte, ob es zwickte. Dabei strich er sich den Pony ein wenig aus dem Gesicht und sah zu dem Mädchen auf. "Ich habe auch mal Leitungssport betrieben. In der Schulmanschaft vom Laufteam."Erzählte er dann und umklammerte seine eigenen Knie. Er bereitete sich darauf vor sich abzustützen um wieder aufzustehen. "Aber da ging es eher jeder gegen jeden. Ich kann mir trotzdem vorstellen wie traurig es dich machen muss diese Erfahrung nicht mit deinen Freundinen zu teilen. Immerhin habt ihr über die Jahre sicher viel zusammen erlebt und auch durchgemacht." seufzte er traurig. Als er es geschaft hatte sich abzustützen lehnte er sich mit dem Rücken an die Liege neben dem Platz. auf dem Jenny saß. "Bei einem gerissenen Band kann man wirklich nicht viel tun, leider. Ich hatte das auch schon. Mir hat Physiotherapie aber sehr geholfen dabei, das die Muskeln im Bein nicht abbauen. Und es shcneller wieder belastbar wird. Wenn du möchtest kann ich dir ein paar Übungen zeigen wie man den Muskel massiert. Aber für heute solltest du ihn wirklich hochlegen und ruhen lassen." schlug er vor, was auch der Arzt sicher schon geraten hatte..aber er wollte es lieber noch einmal anführen. "Was wirst du denn mal studieren?"
"Warst du hier im Laufteam?" fragte Jenny und sah Lian noch einmal genauer an. "In welcher Klasse warst du denn? Wir müssen ja ziemlich im selben Alter sein. Warst du in der Parallelklasse? Ich hab auch schon von ein paar anderen gehört dass beim Laufen und Schwimmen ziemlicher Konkurrenzkampf herrscht. In einer Mannschaftssportart wie Volleyball wäre das eher schlecht..." lächelte sie ein bisschen. "Das Band ist bei mir zum Glück nur angerissen. Wenn ich das Gelenk ruhig halte sollte es auch von selber wieder heilen. Auf eine Operation hätte ich auch so gar keine Lust." sagte sie und strich sich die Haare hinter das Ohr. Vom Sturz war sie noch ganz zerzaust und hatte bisher keinen Gedanken daran verschwendet, wie das vielleicht aussah. "Ich komm auf die Übungen aber zurück... Nächste Woche, wenn ich noch mal zur Nachuntersuchung muss. Da kann ich vielleicht schon wieder anfangen... Hm, im Gegensatz zu dir mach ich ja ohnehin keinen Leistungssport, es ist nur mein Hobby. Auch wenn ich denke, dass ich mich ab nächstem Jahr ganz schön anstrengen muss, in einer neuen Mannschaft meine ich. Ich werde dann Chemie studieren. Ziemlich cool, oder?" fragte sie, und von ihr umbemerkt zierte ein breites Grinsen ihr Gesicht, das aber schnell wieder verschwand, weil ihr beim Gestikulieren die Hand weh tat. "Dieses blöde Handgelenk... da sollte ich auch noch eine Salbe bekommen. Ist nur geprellt."
Lian hob die Hand vor die Lippen um sein Lächeln zu verbergen. Als er sprach nahm er sie jedoch wieder herunter. "Ich komme vom Festland. Ich war auf einer Leistungssport orientierten Schule. Meine Eltern waren da wahnsinng stolz drauf das ich es geschafft hatte nach der Grundschule auf diese Schule zu wechseln." Erzählte er dann ein bisschen. Seine Wimpern senkten sich etwas nachdenklich. Seine Familie war von seinem Rückzug aus dem Sport sehr enttäuscht gewesen. Manchmal hatte er sogar das Gefühl gehabt, sie würden ihm die Schuld an seiner Krankheit geben..oder dass er sich davon hatte unterkriegen lassen. Der Junge blinzelte mit den dichten Wimpern die trüben Gedanken schnell beiseite, und fand zu seinem Lächeln zurück. "Ich bin jedoch nicht mehr so leistungsffähig wie früher, ich wurde krank. Da ich aber gut durch meine Schule versichert war, habe ich für die Ausbildung hier am Komplex ein Stipendium erhalten. Das macht mir hier richtig spaß." Erzählte er weiterhin und bemerkte gar nicht, dass dies seit ewigkeiten das erste normale Gespräch war dass er führte. Und das fühlte sich wahnsinng gut an. Die Einsamkeit war weit in den Hintergrund gerückt. "Meinst du , dass ich dir beim spielen mal zusehen kann? Also wenn du wieder fit bist. Ich finde Volleyball richtig toll und spannend." Musste er dann fragen und hob den Finger. "Ah, warte..die Salbe, genau." erinnerte er sich dann und huschte auf die gegenüberliegende Seite der Anrichte. Aus der Schublade zog er eine schmale Tube hervor udn kam damit zu Jenny zurück. "Streck mal bitte deine Hand aus. " bat er freundlich, und legte seine Hand unter die von Jenny. Mit der freien Hand trug er einen kleinen Streifen Salbe auf die Schwellung am Handgelenk auf und verrieb diesen behutsam auf der Haut. "Du bekommst gleich noch einen Verband..aber lassen wir die Salbe kurz einziehen." Riet er ihr und schraubte die Tube wieder zu. Anschließend musste er sich noch einmal umdrehen, um seine Hände am Waschbecken über der Schublade zu waschen. Die Salbe wollte er immerhin nicht überall verteilen.."Chemie klingt echt anspruchsvoll..du musst sehr klug sein wenn du dir so ein Fach ausgesucht hast." Ließ er dabei das Gespräch aber nicht abbrechen, und sah lächelnd über seine Schulter.
"Ach du kommst von außerhalb, das ist ja cool! ...dass du aber krank geworden bist, nicht so sehr. Naja, wenigstens magst du deine Ausbildung, das ist doch etwas. Hast du hier schon viele neue Freunde gefunden? Wie lang arbeitest du hier schon?" Jenny stellte Lian viele Fragen, um ihn von seiner Krankheit abzulenken. Der betrübte Gesichtsausdruck war ihr aufgefallen. "Du kannst gern beim Training zusehen wenn ich wieder fit bin, auch wenn das sicher noch etwas dauert... Hey, falls du Zeit und Lust hast, können wir uns den Rest vom Turnier zusammen anschauen. Wenn meine Mannschaft heute gewinnt, können wir sie zusammen anfeuern. Es gibt jeden Tag ein Spiel, bis nur noch zwei Mannschaften übrig sind. Da kommen ziemlich viele um zuzuschauen." erzählte sie, während Lian sich die Hände wusch. Sie schnupperte, und die Salbe roch wirklich etwas stark. Naja, so lang es half.. "Ich weiß ja nicht wie es dir gesundheitlich geht, aber wenn du Lust hast, kannst du auch bei uns mitspielen. Nach dem Turnier wird eh alles ganz ruhig ablaufen, bis zum Jahresende.... Aber bekomm keinen falschen Eindruck von mir, so besonders klug bin ich nicht, deswegen freuen sich meine Eltern auch so, wenn ich mehr Zeit mit lernen verbringe. Ich liebe einfach nur Zeug zusammen mischen! Und keiner weiß was am Ende rauskommt, is tdas nicht spannend?" schwärmte sie mit einem breiten Lächeln, und schräg geneigtem Kopf, der bestmöglichen Immitation eines verrückten Wisschenschaflters... wäre da nicht die ehrlich begeisterte Unschuldsmiene auf ihrem Gesicht. Sie meinte wohl ernst, dass sie gern Sachen zusammen mischte.
Lian freute sich riesig darüber wie angenehm es mit Jenny war. Sie redete so normal mit ihm, als würden sie sich schon ewig kennen. Sie schenkte ihm keinen komischen Blick oder behandelte ihn komisch..und versuchte ihn auch nicht auf Abstand zu halten. Nach all er Zeit die er alleine verbracht hatte fielen ihm diese Kleinigkeiten besonders auf. Irgendwie hatte er immer den Eindruck gewonnen als wären hier zwar alle freundlich..aber er trotzdem fühlte er sich immer noch wie ein Gast. Mehr geduldet als akzeptiert. Sicher lag das auch daran das er so misstrauisch war- aber Jenny tat nichts was sein Misstrauen in irgendeiner Art und weise weckte. Es war wirklich einfach schön.. "Ich bin ein paar Monate hier. Es macht riesig spaß so viel zu lernen..ah , und ich arbeite aushilfsweise in dem Butlercafe in der Einkaufspassage." Berichtete er weiterhin und holte den Verband aus einer weiteren Schublade, ehe er zu Jenny zurück kehrte. Er nahm erneut ihre Hand um sie behutsam in einen Stützverband zu wickeln. "Freunde habe ich aber noch keine gefunden..aber ich bin auch sehr schüchtern.." versuchte er sich zu erklären und wurde dabei rot. Er nam eine Verbandsnadel um das Ende am Handgelenk fest zu machen, und ließ erst dann Jennys Hand los. Sie war so schön warm und weich gewesen, wie seine eigene. "Aber ich würde wirklich sehr gern mit dir das Tunier anschauen! Du musst mir nur sagen wann es stattfindet, dann kann ich da sein. Im Anfeuern bin ich auch sehr gut!" nickte er erfreut, und die röte verschwand gar nicht so schnell aus seinem Gesicht. "Ich zeige dir auch noch wie man mit den Krüken umgeht..das ist ganz leicht. Aber glaubst du echt das ich bei euch mitspielen kann? Immerhin bin ich ja nicht in eurer Schule ...und so." murmelte er, unwillig auszusprechen dass es vielleichte in Problem für die anderen wäre, wenn ein Junge mitspielt. Das machte ihn schon etwas nervös..aber vielleicht würde ihm die Entscheidung leichter fallen wenn er die Manschaft wirklich beim spielen beobachten konnte, und die Mädchen kennenlernen konnte. Vielleicht waren sie ja doch so nett wie Jenny und ließen ihn mitmachen. Gedankenverloren hatte er Jenny noch ein Tütchen gepackt. Darin hatte er die Salbe , ein paar Verbände und die Anleitung gesteckt, auf der steht wie oft sie die Salbe verwenden musste. Schmerztabletten für die Nacht waren auch dabei..und eine Mini Tüte Gummitierchen. "Ich mische aber auch gern Sachen zusammen." Schmunzelte Lian dann als er zu Jenny zurück kam und ihr das Tütchen übergab. "Aber in der Küche. Ich backe gern ..und wie in der Chemie kann da auch manchmal ganz schön was schief gehen-" lachte Lian und musste wieder die Hand vor die Lippen legen. "Aber das ist sicher nicht zu gefährlich wie bei dir. Du wirst sicher mal eine tolle Wissenschaftlerin!"
"Echt, du arbeitest in einem Butler Cafe? Das ist ja witzig." meinte Jenny, und ließ den Blick noch einmal über Lian schweifen. "Hm, aber ja, warum auch nicht? Vielleicht sollte ich da auch mal vorbei schauen..." überlegte sie, und machte sich gleichzeitig schon Sorgen um ihr Gewicht. Leckere Desserts stellten da immer eine Bedrohung dar. "Dass du noch keinen Anschluss gefunden hast wundert mich aber... Andererseits bin ich auch manchmal schüchtern, und irgendwo die Neue zu sein ist schon schwierig. Nächstes Jahr muss ich mir auch neue Freundinnen auf der Uni suchen, das kann ja was werden..." Sie zuckte mit den Schultern und prüfte den Sitz des Verbandes, den Lian ihr so lange angelegt hatte. Es half wirklich schon ein bisschen. "Ich seh auch keinen Grund warum du nicht mitspielen solltest. Klar, du bist nicht auf der Schule, aber die Sporthalle ist nicht allein für Schüler reserviert. Da spielen auch viele Ehemalige. Ich glaub nicht dass jemand was dagegen hat, wenn ich dich mitbringe. Vor allem weil ich so ja auch nicht spielen kann." sagte sie, und hob den Arm. Dass Lian ein Junge war, hatte sie bisher noch gar nicht bemerkt. "Wir können ja Telefon Nummern austauschen.. Ah, und falls dir das noch keiner gesagt hat, auf der Komplex Homepage kannst du die Termine von den Spielen und andere Events nachlesen. Das ist echt praktisch!" Sie fischte etwas ungeschickt mit der linken Hand nach ihrem Handy, um Lians Nummer einzuspeichern. "Du musst ja bestimmt auch noch arbeiten, und ich halte dich hier die ganze Zeit hin..." schmunzelte sie. "Also, wie geht das mit den Krücken?" wollte sie wissen und hüpfte einbeinig von der Liege. "Wir können ja wenn du Schluss hast was ausmachen oder uns treffen. Ich hab mindestens die nächsten zwei Wochen ungewollt viel Freizeit.."
Es war Lian schon oft passiert, dass man ihn mit einem Mädchen verwechselte.Das war für ihn schon ganz normal, zumindest seitdem sein Hormonproblem aufgetreten ist. Man hatte ihn bei einer Untersuchung gesagt, dass er sehr viele weibliche Chromosome aufweißt, und die letztlich dafür verantwortlich sind dass bei ihm viel Östrogen produziert wurde. Naja..das merkte er zum einen an seiner Stimmungsanfälligkeit, zum anderen aber eben an den Gelenken. Ein leichterer Sport wie Volleyball kam ihm da eigentlich gelegen, denn immer allein laufen machte ihm einfach keinen Spaß. "Ich hoffe ihr seit dann nachsichtig mit mir. Ich hab vor ein paar Jahren mal Volleyball gespielt, aber das ist eben schon ewig her." lachte er verlegen und holte die Krüken. "Hier..schau mal. Die nimmst du unter die Arme, so.." erklärte er und führte Jennys Unterarme an die Krüken. "Ich stelle sie dir auf deine Größe ein..du sollst ja keinen krummen Rücken bekommen weil sie zu klein eingestellt sind." sagte er liebevoll und ging noch einmal in die Knie um die Krüken auf beiden Seiten so anzupassen, dass Jenny gut darauf stehen konnte, ohne dass sie die Schultern zuweit hochziehen musste. "Du trittst mit dem gesunden Fuß auf, und hebst den verletzten hinter her." Lian wartete ob Jenny das umsetzen konnte was er ihr sagte. Geduldig ließ er ihr ein bisschen Zeit, damit sie üben konnte. Mit gesenktem Blick hob er dann aber doch noch mal die Stimme.. "Wenn..wenn du dann heute nichts mehr vor hast, ich habe in einer Stunde Schluss. Dann können wir gern was unternehmen. Ich kenne ja bisher nur das Cafe. Da können wir sonst was trinken gehen. Oder du zeigst mir die Sporthalle."Lian zuckte schüchtern mit den Schultern.Hier kannte er sich noch nicht gut aus..aber irgendwie hatte er ein gutes Gefühl dabei, Jenny besser kenennzulernen, und sich von ihr den Komplex zeigen zu lassen.
Jenny ließ sich von Lian zeigen wie man die Krücken benutzte, und humpelte testweise ein wenig hin und her. Alles in allem war es wirklich nicht besonders schwierig. Nur nervig, und ungewohnt. "Ach mach dir keine Sorgen, wenn du schon mal gespielt hast, kommst du da ganz schnell wieder rein. Und hier erwartet ja auch keiner Spitzenleistungen von dir, höchstens aus akademischer Sicht." beruhigte sie ihn. Es war offensichtlich, dass LIan etwas nervös war, aber er hatte ja schon gesagt, dass er schüchtern war. Jenny kam das jedenfalls nicht ungewöhnlich vor. "Was hältst du davon wenn ich dich nach der Arbeit hier abhole? Ich geh noch mal zur Sporthalle um mir den Rest vom Spiel, oder wenigstens die Ergebnisse anzuschauen, und dann hole ich dich ab. Ich würde dich schon herumführen, aber mit den Krücken nervt das ganz schön... Wenns dir nicht zu langweilig ist, können wir zu dir oder zu mir, wie es dir lieber ist." schlug sie stattdessen vor. "Oh... und danke dass du mich wieder zusammengeflickt hast, und dir auch noch meine ganzen Probleme angehört hast. Jetzt gehts mir schon wieder besser."
Lians Wangen zierte noch immer eine gesunde Röte. Er freute sich wirklich riesig darüber dass er nun eine Freundin gefunden hatte.Sie hatten sogar schon Telefonnummern getauscht! Lian konnte sich nicht erinnern wann überhaupt mal jemand seine Telefonnummer haben wollte. Der Arzt hatte sie gewollt für seine Unterlagen...und auch Ken hatte sie bekommen. Aber das war immer aus beruflichen Gründen geschehen. Diesmal hatte jemand nur nach seiner Nummer gefragt um sich mit ihm verabreden zu können. Das schmeichelte seiner Seele..und machte ihn glücklich. "Echt wäre das okey? Also wenn du magst kannst du gern mit zu mir kommen. Mein Zimmer ist nicht groß, aber ich habe einen Fernseher und Kuchen vom Cafe zu Hause. Einen Tee kann ich dir auch anbieten." Lachte er aufgeregt, mit glänzenden Augen. "Ich höre dir außerdem gern zu, damit ich dich besser kennenlernen kann. Es tut gut mit jemanden auch über Dinge zu reden die nichts mit der Arbeit zu tun haben. Ich kann mich für deinen netten Besuch hier nur bedanken Jenny." lächelte er mit geschlossenen Augen. Dann faltete er die Hände ineinander und hielt sie unter sein Kinn. "Dann sehen wir uns später? Ich warte vor der Klink. Und später bringe ich dich natürlich auch nach Hause.."
"Wie nett von dir, aus meinem blöden Sturz einen netten Besuch zu machen." schmunzelte Jenny, und humpelte dann zur Tür des Behandlungszimmers. "Dann bis später vor der Klinik. Ich freu mich auch schon darauf, dich näher kennenzulernen, du bist so nett!" verabschiedete sie sich mit einem Lächeln von Lian.
Letztendlich war sie dann doch nicht mehr zur Sporthalle gegangen, sondern hatte sich im Eingangsbereich der Klinik auf ein Bank gesetzt. Auf Krücken zu laufen war ihr einfach zu anstrengend, und es dauerte zu lang. Sie vertrieb sich die Zeit mit ihrem Handy, die vielen Nachrichten die sie bekommen hatte, deuten auch darauf hin dass das Spiel schon vorbei war, und jetzt alle wissen wollten wie es ihr ging, und ob sie bald wieder spielen konnte. Die Zeit verging dabei wie im Flug, und sie ließ immer wieder mal den Blick schweifen, ob Lian schon kam.
Lian wurde mit jeder Minute nervöser, in welcher sich der Feierabend näherte. Auch seinem Arzt war das aufgefallen, jedoch war er nicht weiter darauf eingegangen..und dafür war wiederum Liam ihm sehr dankbar. Nach Dienstschluss war er noch schnell im Bad des Umkleideraumes verschwunden. Er wusch sich das Gesicht..die Hände und Unterarme. Anschließend zog er eine weiße Kapuzenjacke über sein gelben, dünnen Pullover. Eine dunkle Jeans und dunkelbraune Kuschelstiefel rundeten das freundliche Bild ab. Er kämmte sich sicherheitshalber doch noch einmal die Haare und band sie wieder zusammen. Erst dann traute er sich , die Klinik zu verlassen und nach Jenny ausschau zu halten.
Als er Jenny schließlich sah, erhellte sich sein Gesicht. Die blauen Augen strahlten- und er traute sich auch zu winken. Dann huschte er schnell und leichtfüßig über den Boden zu ihr. "Ich hoffe du wartest noch nicht lange." wollte er sich informieren. "Es war auch nicht zu kalt?" wollte er noch wissen, ehe sich seine Schultern wieder entspannten, und er seine Hand ausstrecken konnte. "Komm Jenny, ich helfe dir auf. Ich wohne auch nicht weit weg. Wenn wir den Fahrstuhl da drüben nehmen, müssen wir im 3. Stock nur noch den Flur entlang laufen.." Erzählte er und half seiner Freundin auf die Beine. "Und wie ist das Spiel ausgegangen?" Fragte er dann noch auf dem Weg zu den Fahrstühlen. Er ging im nur geringen Abstand zu Jenny, um sie stützen zu können falls es nötig war. "Ich hab den Feierabend gar nicht mehr erwarten können,weil ich mich so auf dich gefreut habe.."
Als Lian endlich kam, steckte sie das Handy zurück in ihre Jackentasche. "Nein keine Sorge, ich hab nicht lang gewartet. Und meine Mannschaft hat gewonnen. Das heißt wir können uns das nächste Spiel zusammen anschauen, nächste Woche findet es statt." Sie streckte die Hand aus, um sich von Lian aufhelfen zu lassen und angelte dann nach den Krücken. Irgendwie erinnerte sie diese Art der Fortbewegung an Affen, die von Baum zu Baum schwangen. Sie war nur froh, die Krücken bald wieder loszuwerden. "Gut dass es nicht so weit ist bis zu deinem Zimmer. Und ich hab mich auch total gefreut, den Rest vom Tag mit dir zu verbringen. Wenn man keinen Zeitdruck von der Arbeit hat, kann man sich auch viel besser kennenlernen.."