Der Nachmittagsunterricht neigte sich endlich dem Ende. Harley hatte es garnicht mehr erwarten können und deswegen schon ungeduldig die Zähne um das Bleistiftende geschlossen, anstatt weiterhin Mitschriften zu führen- zu welchen er ermahnt worden war. Wie immer trug er seine Schuluniform, doch nicht so ordentlich wie es die anderen hielten. Wo die dunkle Jacke abgeblieben war, wusste er nicht mehr. Der Junge mit dem wilden, dunkelblonden Haar brauchte eh nur das Hemd, dass er bis zu dem Ellenbogen hochgekrämpelt hällt, und daher von Knitterspuren geprägt ist. Die oberen Knöpfe sind ebenso geöffnet, wie die unteren und weisen damit schon auf, dass es eine kleinere Größe wohl auch getan hätte.
Sein Lehrer- ein Herr von mittleren Alter mit hellbrauen Schnautzbart und schmaler Brille, hatte jedoch schon gemerkt das sein schlechtester Schüler besseres zutun hatte, als auf seinen Physikunterricht zu achten. Viel lieber betrachtete er die Fenster und war mit seinen Gedanken längst wieder beim Schwimmunterricht, von dem er durch diesen unfreiwilligen Nachmittagskurs abgehalten wurde. Und nun- wo es das angenehme tönen der langweiligen Schulklingel war das die Stimme Mr. Evans unterbrach- musste Harley seinen unterdrückten Ärger garnicht mehr verstecken. In seiner Ungeduld war er aufgesprungen und hatte seine unvollständigen Unterlagen notdürftig in seinen Rucksack gepackt, wobei nicht ausgeschlossen war dass der halb geleerte Block mehrere umgeknickte Ecken aufweisen würde, wenn er ihn das nächste mal hervorkramen musste. Aber darauf kam es dem Schüler ja nicht an. Der Unterricht war nur ein notwendiges Übel bei dem er vorallem auch mit der Autorität der Lehrer zu kämpfen hatte. Ein Problem- mit welchem er schon daheim genug zutun hatte, und weswegen es sich eigentlich auch nur gegen männliche Lehrer richtete.
So wie Mr. Evans, der garnicht zuließ, dass Harley sich zwischen die anderen, wenigen Schüler drängte die ebenfalls den Kurs besuchen mussten. Ob sie nun Ärger gemacht hatten und deswegen nachsitzen mussten- oder einfach nur Schwächen in dem Fach Physik aufwiesen. Harley, auf den wohl beide Gründe zutrafen, wurde am Arm oberhalb des hochgeschobenen Hemdes gepackt, und durch die Schulter seines Lehrers daran gehindert, sich diesem Griff zu entreißen und sich doch durch die rettende Tür zu flüchten- wie es bereits die anderen taten. " Was wollen sie denn noch?" giftete er , und ließ dem Mann mit mahnendem Blick einen ebenso verärgerten Blick zukommen. Die Lippen des Schülers waren fest aufeinander gepresst, bevor ihm noch etwas entwich was er später bereute. Dennoch ließ er es sich nicht nehmen, seinem Arm zu entziehen. Dies wurde ihm dann aber auch gewehrt, weil Mr. Evans nicht vor hatte, den Jungen weiterhin festzuhalten und am Ende noch an seinem Hemd zu reißen. Das Halrey kraft besaß, wusste er. " Wenn du so weiter machst, dann kannst du nicht nur vergessen, weiterhin das Schwimmteam zu leiten. Du gefährdest deine Versetzung!" Versuchte der eigentlich sehr geduldige Lehrer an seinen Schüler zu appelieren, und verzog verärgert die Augenbrauen. " Wozu brauch ich dafür Physik?" Harley, dem erst garkeine Argumente eingefallen waren, war aber auch nicht für solche zugänglich gewesen. Zumindets nicht in diesem Tonfall, weswegen er auch seine Tasche, die er über die Schultern geworfen hatte richtete, und das faltige Hemd an der Brust notdürftig glatt strich. Dinge- um die er sich sonst nie sorgte, und mit denen er sich nur versuchte davon abzulenken, in diese wissenden, grauen Augen zu schauen. " Und was geht sie das überhaupt an, ich weiß schon was ich mache!" Fuhr er den Lehrer weiterhin an. Auch, wenn seiner Stimme und seinem ernsten Blick die Agressivität fehlte, wurde die Ablehnung und Mauer deutlich, die der Dunkelblonde um sich herum aufgebaut hatte- und sich nun gegen den Mann richtete, der vor Unverständniss nur noch den Kopf zu schütteln musste, und die Arme ineinander verschränkte. " Warte nur, wenn deine Eltern deine Beurteilung bekommen!" Konnte Mr. Evans ihm dann nur noch nachrufen, da Harley diesen Moment schon dazu genutzt hatte um aus dem leeren Raum zu verschwinden.
Abfällig war der Typ ihm gegenüber gekommen, entfuhr Harley auf dem Gang nur der Gedanken mit einem schnaufen, bei dem er die Augen schloss. Den Weg, auf dem er sich machte kannte er auch ohne dass er seinen Blick auf die Meute richten musste, die ihm entgegensteuerte. Hier und da rempelte man ihm an die Schultern- doch auf die Entschuldigungen, die manchmal folgten reagierte er nicht. Nach Hause wollte er umso weniger, nun wo er auch noch wusste, dass es wieder Beurteilungen hageln würde- und damit Vorwürfe- und damit auch noch weitere Nachmittagskurse, Anforderungen..Vorschriften. All dem wollte Halrey entfliehen. Und Zuflucht spürte er an diesem Tag das erste Mal, als er nach mehreren Abzweigungen in den Fluren den schwachen Geruch von Chlor wahrnahm. Die Schwimmhalle war nicht weit entfernt. Und auch, wenn er am eigentlichen Training heut nicht hatte teilnehmen können, wollte er es sich nicht nehmen lassen, doch noch ein paar Bahnen zu schwimmen, und wieder zu seinem Gleichgewicht zu finden, dass seinem wahren Charackter entsprach.
Dazu bog er nun mit einem Lächeln in die Umkleidekabienen ein, nachdem er seine Chipkarte duch das Lesegerät gezogen hatte, dass den Bereich des Schwimmbades abgränzte. Bezahlen musste er also nichts, und würde die Abbuchung wie jeden Monat auf der Rechnung finden, die Aufgrund der Nutzung dieser Karte entstand.
Umgezogen hatte er sich schnell- die dunkle Badehose die an die Oberschenkel reichte, und zur einheitlichen Ausrüstung des Schwimmteams gehörte war alles was er mit einem Handtuch brauchte um nach der Verbannung der Tasche in den Spind - in das Schwimmbad zu gehen- von dem er hoffte, dass es an diesem späten Nachmittag nicht mehr so gefüllt war. Während der Woche hatte er aber meistens Glück- so wie auch an diesem Tag. Nur vereinzeilt konnte man in manchen Becken kleine Punkte ausmachen, die in Wirklichkeit Menschen gewesen waren- aber ebenso wie Halrey, mit sich selbst beschäftigt waren. Mit einem Seufzen fand das große Handtuch einen Platz auf einem der vielen, freien Plastikliegestühlen- und Harley tapste über die warmen Fließen zum großen Becken das viele Besucher gern nutzten, und an dessen Rand sich einige Sprungbretter befanden. Hoch waren sie nicht- doch mussten sie auch garnicht sein. Auf eines sollte der junge Schwimmer steigen, der in die Betrachtung des dunkelblauen Wassers verfallen. Der Geruch von Chlor war hier stärker gewesen..und immer wieder konnte man das Rauschen vernehmen, dass entstand wenn Wasser über den Rand des Beckens trat, und sich in den mit kreisrunden Gittern überspannten Abflüssen sammelte. Hier fühlte er sich wohl- hier, wo die Schultern ihre angespannten Haltung aufgeben konnten..wo der Atem den Rhythmus des Wasserrauschens annahm, und auch der Blick der hellbrauen Augen immer milder wurde. Hierbei konnte man erst bei genauerer Betrachtung erkennen, dass die Ruhelosigkeit den schönen Schimmer überdeckt hatte, der sich in goldenen Fäden durch die Pupillen des Schwimmers zog.
Der Unterricht, die Erwartungen die man an ihn stellte..alles, war auf einmal ganz weit weg, und würde Harley nicht länger daran hindern, bald von diesem Brett zu springen, und in das kühle Wasser einzutauchen, dass ihn besänftigen konnte.