Seit den Nachtstunden schon gab es etwas, das den kleinen Prinzen beschäftigte. So sehr, dass sein Schlaf erst unruhig war, und dann gänzlich zum erliegen kam und ihn dazu brachte, wach zu liegen und an die Decke zu schauen, während er den Gedanken freien Lauf ließ. Doch auch als der Morgen schließlich kam, waren die Gedanken noch nicht verschwunden und beschäftigten ihn weiter. So sehr, dass es auch Samael nicht entgehen würde, der ihn schließlich in- und auswendig kannte. Deswegen war es letztlich auch der Entschluss den Prinzen, von selbst auf seinen Dämon zuzukommen, nachdem er gewaschen und angekleidet war. "Samael.." setzte er an und blickte für einen Moment auf seine Schuhspitzen, bevor er wieder zu ihm aufschaute. "Ich wollte dich um etwas bitten." eröffnete er dann und legte die behutsam die eigenen Fingerspitzen aneinander, bevor er bedächtigt fortfuhr. "Heute Nacht habe ich mich daran erinnert, wie es war als wir uns kennengelernt haben. Seitdem kann ich es einfach nicht vergessen... Ich habe mich deswegen gefragt, ob es möglich wäre, dass du mir für eine begrenzte Zeit meinen alten Körper zurück geben könntest.. und selbst die Gestalt von damals annehmen könntest. Auch die Umgebung müsste die selbe sein.. Ich möchte, dass alles so ist wie damals, außer unser Umgang miteinander. Ich möchte das du mir zeigst, was ich damals verpasst habe, weil ich dich nicht zulassen konnte." forumulierte er seine Bitte einschließlich der Begründung, die ihn dazu veranlasst hatte sie zu stellen. "Es soll auch nur für begrenzte Zeit sein." musste er dabei noch einmal wiederholen, damit Samael keinen falschen Eindruck gewann. Nun wagte er dabei auch kaum zu atmen, da es galt auf die Antwort seines Dämons zu warten.
Der wunderschöne Raum, in dem sich der Prinz befand, diente eigentlich nur einem einzigen Zweck: dem Klavierspiel. Hier befand sich zentral im Raum stehend der glänzende, schwarze Flügel auf dem man niemals auch nur ein einziges Staubkorn fand. Die weißen Tasten schienen aus schimmernedem Elfenbein zu sein, bestanden in Wahrheit jedoch aus einem so glatten und schöenen Material, das es auf der Erde überhaupt nicht gab, wie auch ihre kleineren Partner, die höher stehenden schwarzen Klaviertasten. Die Formgebung dieses Zimmers war darauf ausgelegt, dem Schall die größtmögliche Resonanz zu verleihen, so dass das spiel des Klaviers in mehr als nur einer Hinsicht zu einem Genuß wurde. Der Klang war unvergleichlich rein, keine einzige Note war auch nur um die winzigste Oktave verstimmt. Auch der zugehörige, drehbare Klavierstuhl war mit feinstem Leder gepolstert und besaß ein Standbein aus glänzend poliertem Metall, das wie Silber schillerte. Die Beleuchtung war absichtlich gedämpft gehalten, indirektes weiches Licht spendete zarte Farbakzente und ließ den Rest des Raums in samtener Dunkelheit, während der Fokus des Lichts auf das Klavier und den spielenden Pianisten gerichtet war...
Bei diesem Pianisten handelte es sich natürlich um niemanden anders, als den jungen Prinz, der nun bald das Alter von 18 Menschenjahren erreichen würde.. wäre er nicht im Besitz eines niemals alternden Dämonenkörpers, welcher seine unsterbliche Seele enthielt. Zeit, die so eine wichtige Rolle im Leben der Menschen spielte, war für den Jungen bedeutungslos geworden, dessen Finger sich so anmutig über die Tasten bewegten.. Als Mensch war er schon ein sensibler und talentierter Spieler gewesen, der die Menschen, die seine Lieder gehört hatten, zu erreichen wusste. Nun, als Halbdämon, war sein musikalisches Können ungleich angewachsen. Nun war er im Stande, Töne deutlicher zu hören, ein viel breiteres Spektrum der Musik zu erfassen, als es Menschen je möglich sein würde, wie auch seine Finger eine Kapazität gewonnen hatten, ein untrügliches Geschick, das Menschen verwehrt bleiben würde. Doch das war nicht alles, was im Inneren des Jungen an Wandlung geschehen war.
Die Erinnerungen an sein vergangenes Leben als Menschen waren flüchtig und flüchtiger geworden, so ausgedünnt, das Isamu sich nicht mehr wirklich daran erinnern konnte, das es ein Leben vor diesem gegeben hatte. Ihm war die Tatsache entfallen, dass er einst ein liebendes Elternpaar besessen hatte, welches ihm vom Tod entrissen wurde; vergessen war der Bruder, zu dem er nie ein so inniges Verhältnis hatte aufbauen können, wie er es sich gewünscht hatte.. vergessen war sogar, das es dort noch eine Welt gab, in der Menschen lebten. Doch etwas hatte der kleine Prinz nicht vergessen - oder zumindest seine Seele, seine Finger, die plötzlich nicht anders konnten, als ohne sein zutun Akkorde anzuschlagen, die seit unbestimmbarer Zeit nicht mehr in seinen Gedanken zu finden gewesen waren. Ohne, dass der kleine Prinz wusste, warum seine Finger die zarten Klänge aus dem Klavier hervorlockten, floß die Musik wie Wasser von allen Seiten auf ihn ein... wurde merklich kühler.. gefrohr...
Eine einzelne, schimmernde Träne floß über die Wange des Prinzen, der unfähig war, sein Spiel zu unterbrechen. Die Klänge, die seine Finger dem Klavier entlockten, sollten schließlich eine Tür zu seinen Erinnerungen aufstoßen, welche ihn überfluteten. 'Eisblumen', erinnerte er sich, war der Name dieses Lieds gewesen. Schattenhaft durchzuckten ihn die schmerzlichen Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit, eine Zeit in welcher ihn ein Bruder.. sein Bruder gezwungen hatte, an einem Wettbewerb teilzunehmen, zu dem er gar nicht erst hatte fahren wollen. Und dort war es auch gewesen, wo er IHN kennengelernt hatte. Ihn, einen Jungen scheinbar seines Alters, der Violine gespielt hatte, viel schöner als jeder der anderen Teilnehmer. Isamus Hände zitterten, ohne das er im Spiel innehalten konnte, durch welches immer mehr durcheinanderwirbelne Erinnerungen und Bilder sichtbar wurden. Sie hatten zusammen auf dem Dach gesessen, nachts in der Kälte, hatten die Lichter unter ihnen bewundert.. hatten zusammen Musik gehört.. Isamu erinnerte sich, wie er, ohne das er sich selbst wieder erkannt hätte, am Klavier saß und fast stümperhaft im Vergleich zu seinem jetzigen Können das Lied 'Eisblumen' gespielt hatte. An diesem Tag hatte er nur für Samael gespielt, der Wettbewerb war ihm völlig egal gewesen. Weitere Ausschnitte folgten, wie sie im Zug zusammen fuhren, sein Köpfchen, müde geworden, an Samaels Schulter gesunken war, versunken in traumerfülltem Schlaf.. viele, viele Nachmittage, allein in Samaels schlicht eingerichtetem Zimmer im Hause eines Instrumentenbauers.. Die Scham über seine Beichte, Dämonen zu lieben, als er sich Samaels eines Tages anvertraut hatte.. Weitere Tränen rollten über Isamus Wangen aus Augen, die einmal sanft und braun gewesen waren, jetzt aber ein klares Blau besaßen.
"Samael.." war es nur ein Murmeln, das über seine Lippen kam. Das Lied verklang, als Isamus Finger von den Tasten rutschten, ohne dabei einen misstönenden Akkord anzuschlagen. "Samael!" schaffte er es dieses mal ein wenig Lauter nach seinem Diener zu rufen, wobei er kraftlos eine Hand in Richtung der Tür ausstreckte, welche so zitterte das er sie kaum erhoben halten konnte. Isamu erinnerte sich... erinnerte sich nicht nur an sein vergangenes Leben, sondern erinnerte sich auch daran, was Samael ihm enthüllt hatte: seine wahre Natur als Dämon, und welch unglaublichen Pakt er ihm damit geboten hatte... Doch das war nicht alles, woran Isamu sich erinnerte. Selbst in der Stille hing der Klang der Musik noch im Raum, hielt alles umfangen, und damit auch das Gefühl, das seit Jahren in Isamu geschlummert hatte, ohne das er je bereit gewesen war, es zuzulassen. Auf einem langen, harten Weg war sie schließlich doch erwacht, die Liebe, zu der wohl nur ein paar vereinzelte unter den Menschen fähig waren. "Samael.." entwich noch einmal der Name seines Dieners.. seiner Liebe.. von seinen Lippen. Kraftlos wie er war, würde er sicher in die Arme seines Beschützers fallen wo er sich aus eigener Kraft schon kaum noch aufrecht halten konnte, der zweifellos schon davon Notiz genommen haben musste, dass sein Schützling ihn nun dringend brauchte...
Der kleine Prinz befand sich zur Nachmittagsstunde in seinem Zimmer. Dass es gerade Nachmittag war, hätte man jedoch nicht eindeutig bestimmen können, denn in dem schönen, sehr altmodisch eingerichteten Zimmer brannte lediglich eine Lampe, die sich auf dem Nachttisch neben dem Bett befand. Der Grund, warum kein Licht von draußen eindringen konnte war, das die schweren, dunklen Brokatvorhänge zugezogen waren und deswegen nicht einmal einen einzigen Lichtstrahl einließen. Ohne einen Grund dafür benennen zu können, setzte sich Isamu nur sehr selten dem Sonnenlicht aus, obwohl es auf ihn keinerlei Einfluss hatte. Zumindest keinen negativen, denn er war ja schließlich kein Vampir. Einzig konnte man den Grund dafür vielleicht darin sehen, das so die makellos blassweiße Haut auch so verblieb.. denn für einen Prinzen ziemte sich keine braungebrannte Haut, sondern lediglich die noble Blässe, von der seine pfirsichweiche Haut beschaffen war.
Jedoch saß der kleine Prinz nicht etwa an seinem Schreibtisch, wie man hätte erwarten können, sondern hatte sich zurück ins Bett auf seine Tagesdecke gelegt, wo er auf dem Bauch lag und die Beine im 90 Grad Winkel in die Luft gereckt waren. Diese leicht baumeln lassend, hatte er sich ganz auf ein Blatt Papier konzentriert, das vor ihm lag. Ein ganzes Arsenal von Buntstiften war dabei über die Decke verstreut und diente ihm dabei als Inspirationswerkzeug, da Isamu gerade dabei war, ein Bild zu malen. Die Schühchen hatte er zwar noch von seinen Füßen gestreift - jedoch waren sie nicht wie man erwarten sollte ordentlich am Fußende zusammengestellt, sondern lagen so wie sie von den Füßen gestreift worden waren auf der mittleren Höhe, wobei ein Schuh schief stand, und der andere etwa dreißig Zentimeter daneben umgekippt lag, als hätte Isamu sie ganz achtlos vergessen. Und wenn er noch irgendwelche Pflichten an diesem Tag gehabt hatte, so hatte er diese über seine künstlerische Malerei ebenfalls ganz vergessen..
Charakter: kindlich, meist fügsam und artig, anhänglich, sensibel, jedoch auch stolz, zuweilen frech und übermütig
Hintergrund:
Als jüngerer Bruder eines berühmten Mystikers geboren, verlor der Junge viel zu früh beide Eltern. Mit einem besonderen Talent für Musik gesegnet, fehlte ihm nach dem Tod der Mutter doch immer die Bezugsperson, da sein über alles geliebter Bruder ein zwiespältiges Verhältnis zu emotionaler Nähe hat. Bei einem Wettbewerb, an dem er nicht teilnehmen wollte lernte er den ein paar Jahre älteren Samael kennen, der seine Leidenschaft für Musik und schöne Träume teilt.. ohne zu ahnen, das dieser in Wahrheit ein 400 Jahre alter Dämon ist, der Gefallen an ihm gefunden hat, und von seinen geheimsten, innigsten Träumen unwiderstehlich angezogen wurde. Durch Samaels Kraft konnten seine unergründigsten Träume schließlich wahr werden und ermöglichten Isamu ein Leben fernab der Welt in der er geboren wurde und aufwuchs. Und dieses im Körper eines ewig 12-jährigen Halbdämons, zu dem Samael ihn gemacht hat.. zum Preis, diesem auf ewig gefügig zu sein und somit auch Opfer seiner unstillbaren Lust und Strenge zu werden..